Für eine Handvoll Spaghetti
Bandprojekt „Die Gastarbeiter“ dreht Low-Budget-Tour-Video in Italien
Gold findet man bekanntlich im Dreck. Und Straßen sind aus Dreck gebaut. Diese von Marius Müller-Westernhagen bereits 1978 formulierte Weisheit wählte die Hamburg-Berliner Band „Die Gastarbeiter“ zur Maxime, um „zurück auf die Straße“ zu gehen und Mitte September eine Woche lang durch Norditalien zu touren. Die drei Profimusiker plus Sängerin (www.gastarbeiter.in), die alle im Studiobereich und unterschiedlichen Bands arbeiten, wollten raus aus der Berufsroutine und zurück zum Kern ihrer musischen Motivation: Singen und Musik machen für die Menschen, direkt und unplugged.
Ziel war es, die Reise ausschließlich mit Einnahmen aus Straßen-Gigs zu finanzieren. Doch das Abenteuer hatte auch eine politische Note. Vor 50 Jahren kamen die ersten italienischen Arbeitsmigranten nach Deutschland, und nun sollte eine Handvoll Musiker nach Italien gehen, als „Gastarbeiter“ in der historischen Tradition von Wandermusikern und im Selbstverständnis, eine „typisch deutsche“ Auswahl zu sein: Sängerin Esmeralda Conde Ruiz ist Spanierin aus Berlin, Costanzo Manca (Gitarre, Gesang) ist ein Hamburger aus Sardinien und Markus Bartel und Mateo Hamburg (Gitarre, Percussion) würden eigentlich ganz gerne in Kanada oder im Senegal leben.
„Die Gastarbeiter“ (v.l.): Markus Bartel, Esmeralda Conde Ruiz, Costanzo Manca, Mateo Hamburg
Filmisch begleitet wurde das Projekt von dem Regie-Assistenten Christof Merten und dem aus Kiel stammenden Kameramann Malte Nieschalk (geb. 1976). Der beim NDR ausgebildete Mediengestalter begann seinen beruflichen Werdegang u.a. mit einem Praktikum in der Filmwerkstatt Schleswig-Holstein, die auch das Ton-Equipment für die Dokumentation dieser Mini-Tournee bereit stellte. Malte Nieschalk beschreibt seine Arbeit für Flugticket und Logis als den anstrengendsten Job, an den er sich erinnern kann. Der asketische Ansatz der Reise erforderte reichlich Zugeständnisse an Komfort und Beweglichkeit. Die Unterbringung war spartanisch bis skurril. Auf dem Campingplatz in Pisa zum Beispiel gab es eine Art rollendes Barbie-Haus in Vollplastik-Design. „Wir dachten, das wäre schon äußerstes Low-Budget“, erinnert sich Malte Nieschalk, „aber es ging noch lower …“. So fand man sich wenig später in Bologna in gemieteten Zweimannzelten auf harten Pritschen wieder, einem napoleonischen Feldlager nicht unähnlich. In Arezzo dann endlich Italien, wie es sein soll: Eine alte Villa als Jugendherberge, zypressenbeschattet im stillen Park.
So bunt wie die Unterbringung war auch die Vielfalt der italienischen Polizeiuniformen, denen sich die Straßenmusiker immer wieder gegenüber sahen. Mal mit rüdem Platzverweis, mal mit höflichen Tipps für bessere Spielorte. Der Zuspruch des Straßenpublikums war ähnlich unberechenbar, trotz des breiten und flexiblen Rock-Pop-Jazz-Repertoirs der Truppe. Zeitweise regnete es Münzen aus offenen Fenstern, oder eine ganze Hochzeitsgesellschaft ließ sich tanzend und lauschend in den Bann der Melodien ziehen, dann wieder prallte alle musikalische Mühe ab an der kalten Schulter aus Ignoranz und Sparsamkeit, denn auch in Italien sitzt der Euro nicht mehr so locker. Mehrfach gelang es aber auch spontan und unbürokratisch im Restaurant für einen Teller Nudeln oder Pizza mit Bier aufzuspielen. „Das würde man in Deutschland gar nicht erst versuchen“, vermutet Malte Nieschalk.
Sänger und Gittarist Costanzo Manca, der als gebürtiger Sarde in Norditalien selbst schon ein Exot ist, war als Dolmetscher und Diplomat der „Gastarbeiter“ stets gefordert. Doch die Mühen der langen Wege ließen sich nicht weg plaudern, denn Billig-Unterkünfte liegen selten zentral. So war die Zeit zwischen den Auftritten geprägt von langen Wartezeiten auf Busse und Bahnen und von zermürbenden Fußmärschen mit Gitarren-Sack und Kamera-Pack.
Die Zugfahrten wurden für Interviews genutzt, aber wenn es abends zwischenmenschlich zu knistern und zu krachen begann, war das Filmteam manchmal einfach zu schlapp, um die Kamera zu heben. Dennoch kamen insgesamt über 25 Stunden DV-Material zusammen, unter teils waghalsigen Bedingungen. In Rom traten die allgegenwärtigen Ordnungshüter noch massiver und in Zivil auf und ließen sich nicht davon überzeugen, dass die Canon XL 1 eine harmlose Touristenkamera sei, für die man keine Drehgenehmigung braucht. So wich man auf eine kleine Panasonic aus und drehte heimlich in Guerilla-Manier. Doch um das gesamte Projekt nicht zu gefährden, verzichtete man am Ende auf eines der erklärten Tournee-Ziele: die Depeche-Mode-Nummer „Personal Jesus“ auf dem Petersplatz anzustimmen.
„Alles in allem war das eine tolle Erfahrung“, resümiert Malte Nieschalk seinen „Italian Job“. Die Atmosphäre in den prächtigen Stadtkulissen von Florenz, Bologna und Rom zu erleben und ein typisches Urlaubsland aus der Perspektive „von innen und unten“ zu erfahren, hat ihn beeindruckt. „Doch ein klitzekleiner Mietwagen wäre echt eine Erleichterung gewesen …“.
Zur Zeit hat Malte Nieschalk Auge und Kamera schon wieder aufs Essen gerichtet: Er dreht eine Kinderkochsendung für die Sesamstraße. (Lorenz Müller)