24. Norddeutsche Architekturtage – FilmArchitektur
27. – 30. Oktober 2005 in der Pumpe in Kiel
Die Norddeutschen Architekturtage, seit über 20 Jahren eine feste Institution in der Debatte über Architektur in unserm Land, stehen in diesem Jahr unter dem Motto “FilmArchitektur”. Dafür hat sich die Architekten- und Ingenieurkammer Schleswig-Holstein (AIK) mit dem Kommunalen Kino einen kompetenten Partner an die Seite geholt – “eine Zusammenarbeit, die sich bereits in unserer gemeinsamen Filmreihe bestens bewährt hat”, wie Dr. Klaus Alberts, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der AIK, erklärt.
Vom 27. bis zum 30. Oktober finden in der Pumpe in Kiel Vorträge, Werkberichte von Filmarchitekten und ein Podiumsgespräch zwischen Architekten und Filmarchitekten zum Thema statt. Abgerundet wird jeder Abend mit einer Filmvorstellung, bei der bekannte und weniger bekannte Klassiker der Filmarchitektur (wieder-) entdeckt werden können.
Film und Architektur stehen in einer fruchtbaren Beziehung. Seit der Frühzeit des Kinos haben sich Architekten und Filmarchitekten gegenseitig Anregungen verschafft, haben in ihren Entwürfen gemeinsam und wechselseitig den Nerv der Zeit zu treffen versucht. Und nicht selten boten Filmstudios astronomische Gagen, um Stararchitekten zur Mitarbeit zu bewegen. “Filmarchitektur ist befreit von den Gesetzen der Statik; sie muss nicht bewohnbar sein, sie braucht nicht einmal Wind und Wetter zu trotzen. Sie muss nur so aussehen, als ob sie all diese Qualitäten besäße. Als Teil eines Bildes bleibt sie reine Idee – und bleibt damit vielleicht immer näher am Traum von der ‘Perfekten Architektur’ als jeder ausgeführte Bau”, sagt Eckhard Pabst vom Kommunalen Kino, der Kurator der diesjährigen Norddeutschen Architekturtage.
Zu den Gästen, die nach Kiel eingeladen worden sind, zählen so bedeutende Filmarchitekten wie Uli Hanisch, der für “Das Wunder von Bern” das Berner Fußballstadion rekonstruierte und mit (digital erzeugtem) Publikum füllte, oder Lothar Holler, der für “Goodbye Lenin!” und “Sonnenallee” bereits mehrmals die Lebenswelt des DDR-Alltags wieder auferstehen ließ.
Die Architekten sind vertreten durch Charles de Picciotto (de Picciotto und Wittorf, Hamburg) und Prof. Gerd Jäger, (Jäger Jäger, Schwerin). Ein Podiumsgespräch mit dem Berliner Architekturkritiker Dr. Jürgen Tietz und Architekten und Filmarchitekten wird um die Frage kreisen, inwiefern beide Berufsgruppen Visionen und “Bilder” erschaffen.
Für die einführenden Vorträge konnten Helmut Weihsmann, Architekturhistoriker aus Wien und Verfasser mehrerer Standardwerke zum Thema, sowie der Siegener Kunsthistoriker und Medienwissenschaftler Jens Schröter gewonnen werden.
Weiterhin auf dem Programm stehen der britische Science-Fiction-Film “The Tunnel” (GB 1936) und der Greta-Garbo-Klassiker “Grand Hotel” (USA 1932). Wie sehr Spielfilme den Blick auf eine Stadt prägen, zeigt Thom Anderson in seiner Kompilation “Los Angeles Plays Itself” (USA 2003), eine 170-minütige Reise durch die Stadt, einzig montiert aus Filmzitaten. Filmischer Höhepunkt ist die Abschlussveranstaltung am 30. Oktober: Live begleitet von dem Kieler Duo “Piano meets Vibes” wird Fritz Langs monumentaler Stummfilm “Metropolis” (D 1927) gezeigt.
Programm
Donnerstag 27.10.2005 – “Überblicke”
Eröffnung: 18:00 Uhr
Begrüßung: Architekten- und Ingenieurkammer S.-H.
Einführung: Eckhard Pabst, Kommunales Kino
Vortrag: Helmut Weihsmann:
“Bilder einer Einstellung – Dekors, die Filmgeschichte schrieben”
Für den Look eines Spielfilms spielt die Ausstattung eine ebenso entscheidende Rolle wie Licht, Kamera und Regie. Wie die großen Stars der Leinwand haben sich auch die aufwendigen, illusionistischen und fantastisch-visionären Dekors der Filme in das kollektive Gedächtnis der Kinogeher eingeschrieben und so manchen mittelmäßigen Film erst berühmt gemacht. Man denke nur an die einflussreichen Design- bzw. Architekturfilme wie “The Fountainhead” (USA 1949) oder “Blade Runner” (USA 1982), an die futuristischen Städte von “Metropolis” (D 1927) oder “Things to Come” (GB 1936). Ausgehend von der Besprechung solcher klassischen Filmarchitekturen gelangt Weihsmann zu der These, dass fiktive Bauformen und virtuelle Raumerfindungen zusehends an Boden gewinnen und die reale und mit allen Sinnen erlebbare Architektur verschwinden lassen. Anstelle des euklidischen Raumes und authentischen Ortes tritt die Präsenz der Absenz.
Helmut Weihsmann (Wien), Medienwissenschaftler und Architekturhistoriker; Kurator, Programmgestalter; Lehraufträge an internationalen Universitäten, Verfasser u.a. von “Gebaute Illusionen – Architektur im Film”, Wien 1988
Vortrag: Dr. Jens Schröter, Medienwissenschaftler und Kunsthistoriker, Siegen:
“Medienästhetiken des Raums. Re-Produktionen von Architektur in Malerei, fotografischen Medien und Computergrafik”
Die Frage nach den Medienästhetiken des Raums bezeichnet die Frage danach, welche Wahrnehmungen von Raum durch welche Medien ermöglicht werden. Wie könnte diese Frage besser untersucht werden als durch die Betrachtung und Analyse von exemplarischen (d.h. zumeist künstlerischen) medialen Re-Produktionen architektonischer Strukturen? Der Vortrag hat das Ziel, die verschiedenen Medienästhetiken des Raums medienhistorisch und -komparativ herauszuarbeiten. So kann der Komplex “Architektur im Film” bzw. “Filmarchitektur” historisch gerahmt und verortet werden.
Jens Schröter (Siegen), Medienwissenschaftler, Kunsthistoriker
ca. 20:00 Uhr: Pause mit Imbiss
21:00 Uhr – Filmvorstellung: “(unbekannte) Klassiker der Filmarchitektur”
The Tunnel
GB 1935. Maurice Elvey. Bauten: Ernö Metzner. 94 Min. Mit Richard Dix, Leslie Banks, Madge Evans
Als britisches Remake des Ufa-Films von 1933 erzählt dieser Science Fiction-Film die Geschichte eines Ingenieurs, der von der Idee besessen ist, einen Tunnel unter dem Atlantik hindurch zu graben, um mit dieser Verbindung den “ewigen Frieden zwischen den Englisch sprechenden Nationen” zu sichern. Die Arbeit fordert Opfer, der Ingenieur entfremdet sich seiner Frau und verliert seinen Sohn. Doch das Bauprojekt gelingt … Der ungarische Kostüm- und Szenenbildner Ernö Metzner zählte im Kino der Weimarer Republik zu den renommiertesten seiner Zunft, von ihm stammen u.a. die Ausstattungen für “Geheimnisse einer Seele” (1926) und “Tagebuch einer Verlorenen” (1929). 1933 emigrierte er nach England, von dort aus 1941 weiter in die USA. Für “The Tunnel” schuf er aufregende und detailverliebte Art Deco-Designs, zu deren Höhepunkten stromlinienförmige Autos und eine futuristische Stadtsilhouette zählen.
Freitag, 28.10.2005 – “Begegnungen”
15:00 Uhr: Werkberichte von Filmarchitekten
- Uli Hanisch, Köln (“Das Wunder von Bern”, “Das Experiment”, “Das Parfum”)
- Lothar Holler, Berlin (“Sonnenallee”, “Goodbye Lenin!”, “Mein Name ist Bach”)
- Martin Hüttenmeister, WDR Köln (“Speer und Er”)
ca. 17: 30 Uhr: Pause
18:00 Uhr: Podiumsgespräch
“Von gebauten Illusionen und dem Bildwert des Bauens”: Szenografen und Architekten im Gespräch
- Impulsreferat von Dr. Jürgen Tietz, Berlin:
“Stadtinszenierung und Ikonen – Gehry & Co.” - Charles de Picciotto (de Picciotto und Wittorf, HH)
- Prof. Gerd Jäger (Jäger Jäger, Schwerin)
- Uli Hanisch, Köln (“Das Wunder von Bern”, “Das Experiment”, “Das Parfum”)
- Lothar Holler, Berlin (“Sonnenallee”, “Goodbye Lenin!”, “Mein Name ist Bach”)
- Martin Hüttenmeister, WDR Köln (“Speer und Er”)
ca. 19:30 Uhr: Pause, Abendessen
21:00 Uhr – Filmvorstellung: “(unbekannte) Klassiker der Filmarchitektur”
Grand Hotel
USA 1932. Edmund Goulding. Bauten: Cedric Gibbons. 110 Min. Mit Greta Garbo, John Barrymore, Joan Crawford
Das Grand Hotel ist Berlins erste Adresse: ein luxuriöser Mikrokosmos mit schneidigen Hotelpagen, Bergen von Gepäck, großen Limousinen vor der Tür und prächtigen Suiten. Hier verkehren die Reichsten der Reichen – und solche, die sich dafür ausgeben. Hier begeben sich Lebemänner auf die Suche nach der nächsten Affäre und kleine Büroangestellte auf die nach der wahren Liebe. Ein verarmter Baron hat es auf die Juwelen einer lebensüberdrüssigen Ballerina abgesehen – und erbeutet schließlich ihr Herz. Und ein unheilbar kranker Buchhalter nutzt seine mageren Ersparnisse für ein letztes extravagantes Vergnügen … “Grand Hotel” ist ein typischer Film aus den goldenen Tagen des Studiosystems. Verantwortlich für das Production Design war Cedric Gibbons (1893-1960), der mit etwa 1.500 Erwähnungen in Filmcredits einen Rekord hält. Von 1924 bis 1956 war er Leiter des Art Departments bei MGM und mithin einer der einflussreichsten Männer der MGM – nicht nur verantwortlich für den Look jedes einzelnen Films (auch wenn er für “nur” rund 150 tatsächlich die Entwürfe zeichnete), sondern für die Corporate Identity des ganzen Studios bis hin zur Wohnungseinrichtung der Stars. Zu Gibbons berühmtesten Arbeiten zählen u.a. “The Wizard of Oz” (1938) und “Quo Vadis” (1951). Ebenso gestaltete er die Oscar-Statuette.
Samstag, 29.10.2005 – Los Angeles – Eine Stadt im Film
18:00 Uhr: Einführung: PD Dr. Wolfgang Struck, Kiel/Erfurt
Los Angeles Plays Itself
USA 2003, Thom Anderson, ca. 170 Min
Noch nie hatte ein Film eine derartige Besetzung von Superstars aufzuweisen und sie gleichzeitig zu Statisten degradiert. Die Stadt Los Angeles spielt die Hauptrolle und entpuppt sich als vielseitige Charakterdarstellerin. Thom Andersen montiert aus berühmten Spielfilmszenen ein Porträt der Stadt der Engel. Erstaunliche Behind-the-Scenes-Aufnahmen, allseits beliebte Locations, die bereits für jeden Ort der Welt herhalten mussten, endlose Verfolgungsjagden vorbei an McDonalds, Motels und Tankstellen, die nie für das Publikum geöffnet wurden, lassen den Film wie ein Mantra funktionieren, dem man sich nicht entziehen kann. (Katalog Filmfest München 2004)
ca. 21:10 Uhr: Pause
21:30 Uhr Filmvorführung:
Collateral
Michael Mann. USA 2004. 128 Min. OmU. Mit Tom Cruise, Jamie Foxx
Die Geschichte ist von kammerspielartiger Einfachheit: Der Killer Vincent kommt nach Los Angeles, um im Lauf einer Nacht mehrere “Kunden” zu besuchen; dabei bedient er sich des Taxifahrers Max, der ihn durch die Stadt fahren muss. Mann nimmt diesen Plot zum Anlass, um einen ausgedehnten Streifzug durch Downtown LA zu unternehmen und die City – die für ihn die faszinierendste und modernste aller amerikanischen Städte ist – in ihrer Großartigkeit zu erkunden. Dabei stellt er LA niemals aus. Plakative Panoramaschwenks in perfekten Farben hat die Welt genug gesehen. Was Mann sucht, ist die Stadt, wie sie sich dem Autofahrer und Fußgänger darstellt; er zeigt die Erhabenheit und die Patina einer abgenutzten Landschaft voller Beton, Stahl und Glas. Zum Aufnehmen der handverlesenen und exzellent fotografierten Schauplätze nutzt Mann fast durchgehend High Definition Video, das mit Naturlicht auskommt. Das Resultat ist nicht nur ein ebenso spannender wie intelligenter Thriller, sondern auch ein großartiges Seherlebnis, bei dem eine Stadt die Hauptrolle spielt. – Mann: “Ich wollte einen Film machen, der weniger mit einem Taxi zu tun hat als mit dem, was man durch die Fenster sehen kann.” (Kai U. Jürgens)
Sonntag, 30.10.2005
20:00 Uhr: Abschlussfilm:
Metropolis
Fritz Lang. D 1927. Bauten: Otto Hunte, Erich Kettelhut, Karl Vollbrecht. Mit Brigitte Helm, Gustav Fröhlich, Rudolf Klein-Roge, Heinrich George. Musikalische Begleitung: Piano meets Vibes.
In Metropolis, der Stadtschöpfung des Unternehmers Fredersen, herrscht beklemmende Ungleichheit: Während die Besitzenden auf den Gipfeln himmelhoher Wolkenkratzer ein angenehmes Leben führen, sind in den Tiefen der Unterstadt anonyme Arbeitermassen einer menschenfeindlichen Technik überantwortet, deren Bedienung nicht selten Todesopfer fordert. Und die diabolische Schöpfung des Erfinders Rotwang, eine Maschinenfrau, schürt den Hass zwischen den Klassen … Fritz Langs Stadt-Vison ist zum Inbegriff des modernen Großstadtbildes geworden, das Hochhäuser als triumphale Gesten des Überflusses und die erdrückenden Quartiere entindividualisierter Massen vereint. Bei der Umsetzung der Modellstadt schufen seine Filmarchitekten einen Mix aus prominenten Vorbildern, bei dem Schinkels Bühnenbilder Mies van der Rohes Hochhausstudien begegnen und expressionistisch verquollene Lehmhäuschen neben Bauhaus-Moderne stehen.
Ende ca. 22:30