Kamera-Ballett im „white cube“
Janne Höltermann gewinnt Muthesius-Preis der NordwestLotto GmbH
Zwei weiße Bildflächen werden exakt nebeneinander projiziert. Etwas bewegt sich darin, begleitet von schleifend-schlurfenden Geräuschen. Was es ist, bleibt zunächst unklar, aber jede der kurzen Bewegungen hinterlässt auf der Leinwand Spuren wie schwarze Kondensstreifen. Die Bewegungen auf beiden Bildern sind ganz unterschiedlich, aber sie laufen immer synchron. Nach und nach wird deutlich, dass es sich um Bilder zweier Videokameras handelt, die sich gegenseitig filmen, während sie von unsichtbarer Hand in einem konturlosen, weißen Raum bewegt werden, Zug um Zug wie in einem Schachspiel.
Ein nachträglich eingefügter „visueller Echo-Effekt“ lässt sie Spuren ziehen wie dicke, kaligrafische Pinselstriche. Die beiden DV-Kameras erzeugen auf diese Weise Lichtbilder im ursprünglichen Wortsinn und sind Subjekt und Objekt zugleich. In der Orientierungslosigkeit des weißen Bildhintergrunds ist kaum auszumachen, welches der beiden Geräte gerade verharrt und welches den Platz wechselt. Stets bleibt fraglich, wodurch die Verfremdung ausgelöst wird: durch die eigene Bewegung oder durch den Blick auf das Gegenüber?
Screenshot aus Janne Höltermanns Diplomarbeit „Kameras“
Janne Höltermann gab ihrem achtminütigen Video-Loop den schlichten Titel „Kameras“ und macht damit bereits klar, dass es ihr um das Spiel mit den formalen Eigenheiten des Bildmediums geht. Der gewählte Plural deutet auch auf das Grundproblem des Bildermachens hin, den Raum in die Fläche zu zwingen, denn die beiden digitalen Camcorder sind in ihrem technischen Kern immer auch eine „camera obscura“, eine „dunkle Kammer“. In Janne Höltermanns Arbeit bewegen sie sich innerhalb einer leuchtend hellen Kammer, einem „white cube“, dessen Abbildung mit Hilfe von Videoprojektoren wiederum einen verdunkelten Außenraum erfordert. So entsteht auf ganz einfache Weise eine komplizierte Verschachtelung von echten und scheinbaren, von hellen und dunklen Räumen, in deren Zentrum sich zwei Aufnahmeapparate wie im Duell umschleichen und gegenseitig in flächige Gebilde verformen, sich quasi „plattmachen“.
Mit der Installation „Kameras“ hat Janne Höltermann (geb. 1977) nach ihrem Examen als Kunsterzieherin an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel nun auch ihr Diplom im Fach Freie Kunst/Medienkunst in der Klasse von Prof. Ralph Weißleder erworben.
Janne Höltermann, Gewinnerin des Muthesiuspreises der NordWestLotto GmbH 2005 (Foto: Lorenz Müller)
Aspekte der visuellen Ver- und Entfremdung, das Spiel mit Verzerrung und Abstraktion von Objekten hat Janne Höltermann auch in anderen Arbeiten behandelt, wobei ihr die Schlichtheit des formalen Rahmens wichtig ist, ähnlich wie in den Arbeiten des kanadischen Videokünstlers Stan Douglas (geb. 1960). Das Verwirrspiel um die Perspektiven ihrer „Kameras“ erinnert aber auch an frühe Werke von Bruce Naumann der z.B. in „Video Surveillance Piece: Public Room, Private Room“ (1969) mit geheimen Räumen und nicht nachvollziehbaren Blickwinkeln von Überwachungskameras spielte.
Für Ihre Diplomarbeit hat Janne Höltermann nun den diesjährigen mit 7.000 Euro dotierten Muthesius-Preis der NordwestLotto GmbH erhalten, der als Förderpreis für Studienzwecke und Auslandsaufenthalte dient. (Lorenz Müller)