JazzBaltica 2005:

Fuge versus Fusion

Don Friedman und Chick Corea & Touchstone beim JazzBaltica-Auftakt in der Lübecker MuK

Einleuchtender hätte der alte Lehrsatz nicht bewiesen werden können, dass der Jazz seine immer wieder sich erneuernden Wurzeln aus europäischer Harmonik und afrikanischer Rhythmik speist. Zum JazzBaltica-Auftakt in der Lübecker MuK verkörperten die Piano-Legenden Don Friedman und Chick Corea diese unterschiedlichen und doch in dieselbe Richtung fließenden Ströme.

Ein unbedingt pianistischer, federnd weicher Anschlag zeichnet Don Friedmans ebenso impressiven wie introvertierten Grübeleien aus, mit denen er in seine Solo-Improvisationen startet. Eine Art toccatenhaftes Präludium, in der thematischen Arbeit durchaus fugisch gedacht und von der Harmonik her mehr chromatisch als blue-genotet. Figuren in der linken Hand, die stellenweise wie der Generalbass einer Invention erscheinen, um dann zum guten alten Walking Bass zu mutieren, wenn aus den perlenden Skalen sich ein Rhythmus schält, ein Groove mit einer Spur Gershwin, ein old-fashioned Ragtime, wenn aus dem Schwelgen der Swing wird, aus dem weichen Anschlag der leichtfüßige und sich die Musik aus der Kammer des Denkens weitet zum Broadway mit dem boppigen Geschmack des Big Apple. Friedmans lyrisches Spiel schlägt dann um, wird lustvoll, zuweilen sogar lustig, ironisch, wenn das ein oder andere Themenfragment eines Standards ihm in die Finger fährt.

Das Publikum in der MuK beklatscht solches reich, fordert drei Zugaben. Und dennoch ist es sozusagen ein klassischer Beifall, ein mitdenkender. Den mitfühlenden ernten Chick Corea und seine Touchstone-Band, allesamt Paco de Lucía- und Flamenco-Jünger. Diese Band „is my spanish heart“, sagt Corea und setzt sich erstmal ans E-Piano statt an den Flügel. „North Africa“ heißt das erste Stück zu Recht, eine Fusion aus Funk, Flamenco und anderen groovenden Arabesken. Coreas Freejazz-Phase ist noch spürbar, wenn er mit Flötist Jorge Pardo oder Carles Benavent am gitarrophilen Bass die Dialoge ins Furioso steigert. Wo Friedmans Improvisationen elaborieren, skizzieren Coreas „microprocessionals“, wie er zwei Meter Notenblatt feixend nennt, die er zu „King And Queen“ auf dem Flügel ausbreitet. Was folgt, ist ein durch und durch latinisiertes Charakterstück mit vielen Charakteren, eine polyrhythmische Studie, die die Touchstones zunächst klatschen, um sie dann im Staccato der thematischen Chamäleons zu einer sinnenhaften Flamenco-Party wie aus dem Pinsel von Breughel zu fusionieren.

Die analytisch zerlegende Kraft des Fugato bei Friedman, die „Kon-Fusion“ bei Corea – auch wenn das Motto der JazzBaltica „on drums“ ist, in diesem dreistündigen Doppelkonzert verwirklichte es sich schon mal „on piano“ und das recht „forte“. (jm)

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