9. Filmfest Schleswig-Holstein Augenweide
Blicke auf die andere Seite
Das 9. Filmfest Schleswig-Holstein Augenweide bot einen fruchtbaren Boden für schleswig-holsteinische Filme mit ungewöhnlichen Perspektiven.
And the Winner is … „Die andere Seite“. Das galt am Ende des dreitägigen 9. Filmfests Schleswig-Holstein Augenweide, das vom 27. bis 29. Mai von der Kulturellen Filmförderung Schleswig-Holstein und dem Kieler Kommunalen Kino in der Kieler Pumpe veranstaltet wurde, nicht nur für den mit dem Hauptpreis (einem Adobe Creative Suite-Softwarepaket von Sponsor ComLine) ausgezeichneten Kurzfilm von Christian Mertens. Mit Blicken auf die andere Seite in ungewöhnlichen Perspektiven, kameratechnisch wie erzählerisch, beschäftigten sich viele der 12 Dokumentar- und 15 (Kurz-) Spielfilme, die die 9. Augenweide als Querschnitt durch das aktuelle Filmschaffen in Schleswig-Holstein sowie in den diesjährigen Partnerländern Finnland (Region Ostrobothnia) und Japan zeigte.
Interessiertes Publikum auf der Augenweide (Fotos: Lorenz Müller)
Die Jury, bestehend aus dem Filmemacher Bernd Fiedler, Cerstin Gerecht, Leiterin des Kulturamts der Landeshauptstadt Kiel, und Karsten Wiesel, Programmmacher bei den Flensburger Kurzfilmtagen, lobte den Preisträgerfilm dafür, dass er „keine fertige Lösung anbietet, Neugier und Fantasie der Zuschauer anregt und mit einem entschlossenen Vielleicht endet“. Auch die lobende Erwähnung für Britt Dunses Kurzfilm „Norden“ gilt der „technischen Experimentierfreude und musikalischen Komposition“ und damit einem Filmgenre, das es sonst auf Festivals, geschweige im Kino nicht leicht hat.
Die Jury (v.l.: Cerstin Gerecht, Karsten Wiesel, Bernd Fiedler) und Bernd-Günther Nahm, Geschäftsführer der Kulturellen Filmförderung S.-H. bei der Preisvergabe
Neben Mertens‘ „Die andere Seite“, einem facettenreich mit Perspektivwechseln, Vor- und Rückblenden spielenden Kurzfilm über eine Bankräuberin, die vielleicht nur der entschlossenen Fantasie des erzählenden Protagonisten entsprungen ist, unterstrichen bei der Augenweide gleich mehrere Premieren, dass sich schleswig-holsteinische Filmemacher nicht scheuen, ungewöhnliche Blickrichtungen zu etablieren und damit „die Weiterentwicklung der traditionellen Erzählweise des Spielfilms“ (Jury-Begründung zu „Die andere Seite“) voranzutreiben.
Hauptpreisträger Christian Mertens (Mitte) und sein Team
Anne Cathrin Buhtz als Bankräuberin in „Die andere Seite“
Michael Carstens Kurzfilm „Wie man unsichtbar wird“ zeigt die einsamen Innenwelten eines Mannes, der sich selbst Liebesbotschaften auf Postkarten schickt, mit surrealen Kameraperspektiven und -fahrten.
Michael Carstens (Mitte) und sein Team
„Blindschatten“ von Gerald Grote und Claus Oppermann synästhetisiert den zärtlichen Tastsinn durch schwebende Bilder „hinter“ der Leinwand. Kai Zimmers Experimentalfilm „Blaue Blumen“ spürt dem romantischen Gefühl nach, in Novalis‘ Roman „Heinrich von Ofterdingen“ und den dazu passenden Naturbildsequenzen ebenso wie in den Musikkulissen von Hollywoodfilmen. „Puppethotel“ von Meike Fehre und Sabine Dully animiert im andersseitigen Blick des aufwändigen Stopptricks die immer gültige Geschichte von einem Mädchen, hier eine niedliche Kakerlake, zum Jüngling, hier ein „arbeitsloser“ Hotelportier.
Und auch die Schleswig-Holstein-Premiere von Lars Jessens „Am Tag als Bobby Ewing starb“ (Bundesstart: 2. Juni), die das Filmfest am Freitag eröffnete, zeigte zweierlei. Zum einen, dass auf der Scholle zwischen den Meeren Filmkünstler reifen, die in ganz Deutschland reüssieren – Jessen, der ein echtes „Gewächs“ des Filmlands Schleswig-Holstein und seiner Kulturellen Filmförderung ist, gewann mit seinem Spielfilm-Debut im Januar den renommierten Max-Ophüls-Preis. Zum anderen, dass es auf den etwas anderen Blickwinkel ankommt, wenn man so geschickt wie Jessen zwischen Ironie und Hommage auf die Alternativkultur, die 1986 rund um den Widerstand gegen das AKW Brokdorf neue Lebensentwürfe zu entwickeln versuchte und dabei oft genug am „Alten“ in den eigenen Köpfen und Herzen scheiterte, die Seiten wechselt.
Lars Jessen (rechts) mit dem Vorbild für die Figur „Rakete“ aus „Am Tag als Bobby Ewing starb“
Blicke in die Grauzonen der Geschichte(n) wagten ebenso die bei Augenweide präsentierten Dokumentarfilme. Ob „Kiel im Bombenkrieg“ mit von Kay Gerdes neu aufgefundenem Archivmaterial, Rasmus Gerlachs „Die Brigade“ (Sonderpreis gestiftet von Bernd Fiedler) über Revolutionstouristen beim Ernteeinsatz auf Cuba, „Filetstück“ von Miriam Rupp und Rolf Schwarz über den Kampf um das Lübecker Kulturzentrum „Alternative“ oder die poetisch zwischentönige Wende-Studie „Zwischen den Grenzen“ von Laura von Bierbrauer und Luise Donschen – Geschichte wird als Erlebtes gezeigt. Instruktive Blicke „auf andere Seiten“, für die „die Kulturelle Filmförderung und das Filmfest Augenweide“, so Bernd-Günther Nahm, Geschäftsführer der Kulturellen Filmförderung Schleswig-Holstein, „erneut einen gut bestellten Boden bereiteten, auf dem die entsprechenden Früchte gedeihen können“. Dass der gleich nach dem Ende eines auch beim Publikum erfolgreichen Filmfests weiter „anders und nicht artig“ beackert werden wird, dessen darf man gewiss sein, denn vom 19. bis 21. Mai 2006 feiert die Augenweide ihr 10. Jubiläum.
(Pressemitteilung der Kulturellen Filmförderung S.-H.)