55. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2005
Warum starb Janine F.?
„Janine F.“ (Teresa Renn, D 2004)
Im November 2002 stürzt sich die 24-jährige Janine F. aus dem fünften Stockwerk des Berliner Kunsthauses Tacheles zu Tode. Touristen fotografieren ihre Leiche, weil sie an an eine Kunstperformance glauben. Für einige Tage ist die Story in der Boulevardpresse, die vorschnell den Mitbewohnern des Hauses eine Mitschuld am Tod der jungen Frau gibt.
Teresa Renn sucht in ihrem formal strengen und inhaltlich gelungenem Abschlussfilm für die Filmakademie Baden-Würtemberg nach dem Menschen hinter der Schlagzeile und spricht mit den Freunden, Kollegen und Mitbewohnern. Obwohl ein hoher Anteil „Talking Heads“ den Film bestimmen, bleibt er spannend, denn hinter den Erinnerungen wird langsam eine junge Frau sichtbar, die zunehmend in manisch-depressive Stimmungen verfällt und zu einem pathologischem Fall wird. Renn deckt in der Interviews Ignoranz und Fahrlässigkeit in Janines Umfeld auf. Eine nicht unerhebliche Leistung, das Vertrauen der Interviewten zu gewinnen, so dass auch durchaus selbstkritische, teilweise bewusst selbstbelastende Aussagen getroffen werden. Wer schon einmal selbst einen Menschen in seiner Nähe hat aus einer psychischen Krise helfen wollen, weiß wie schwer schon das Erkennen einer beginnenden Krankheit ist, Geschweige denn das Helfen.
Teresa Renn lieferte ein überzeugendes Dokumentarfilmdebut (Foto: Berlinale)
Renn gibt keine personen-identifizierenden Untertitel und verteilt den Anteil an Interview-Zeit recht gleichmäßig auf die verschiedenen Knoten in Janines sozialem Netz: der Mitbewohner, die beste Freundin, der Freund, der Kollege, die Künstler im Tacheles. Hier findet keine Schuldzuweisung an einzelne statt. Aber es werden Fragen aufgeworfen: Hätte man ihr eine beginnende Psychose anmerken können, anmerken müssen? Hätte man der jungen Frau in dieser Situation Drogen geben dürfen? Hätte man einen Arzt einschalten müssen, als sie von Stimmen sprach, die sie hörte?
Teresa Renn zeigt fast den ganzen Film über keine Aufnahmen von Janine, arbeitet an unserem Bild von Janine nur mit den Erinnerungen ihrer Interviewpartner. Als Schlusspunkt zeigt sie jedoch (korrekt in ihrer Erzählebene bleibend und daher vom Monitor abgefilmt) das Video, das Künstler im Tacheles einen Tag vor dem Freitod aufnahmen. Plötzlich erleben wir Janine im Zwiegespräch mit anderen Künstlern. Sie spricht über die Stimmen in ihrem Kopf und ihren Tod. Aber niemand nimmt sie als das wahr, was sie immer offensichtlicher ist: ein psychisch kranker Mensch, der Hilfe braucht. (dakro)