In der Schwebe
Interview mit Friederike Rückert zu ihrem Film „In Limbo“
Freitag Abend, feucht-kaltes Märzwetter, die Dunkelheit bricht herein. Hinter den Fenstern im „Langen Segen“, die Muthesius Hochschule unterhält in den ehemaligen Industrie- und Gewerberäumen Ateliers für ihre Studenten, herrscht noch reges Treiben. Friederike Rückert, Kieler Videokünstlerin und Filmemacherin, sitzt in ihrem effizient, aber einladend eingerichteten Arbeitsraum neben ihrem Cutter und Filmkomponisten Torsten Pinne auf einem leinenbezogenen Dreisitzer und sichtet das Material ihres aktuellen Projekts „In Limbo“.
Durch drei Stunden haben die beiden sich schon geschafft, vier weitere harren noch der Sichtung, dazu kommen noch drei weitere Stunden der „zweiten Kamera“ und Interviews. Rückert ist zufrieden mit der sorgfältig gekaderten und elegant schienen-geführten Kamera, die ihre drei Protagonistinnen an ausgesuchten Schauplätzen in Kiel einfängt. Die Architektur spielte nicht selten eine wichtige Rolle bei der Auswahl der Locations.
Architektur …
… und surreale Bildwelten (Fotos: Susanne Ludwig)
Auf dem Bildschirm sieht man die drei Heldinnen, vielleicht nach einer durchfeierten Nacht, durch eine moderne, betongefasste Eisenbahnunterführung in Richtung Licht gehen. „Den Tipp für die Unterführung hab ich von Lorenz Müller, Mitarbeiter der Filmwerkstatt, das müssen wir unbedingt festhalten“, erinnert sich Rückert selbst. „Sollen wir noch eine?“ fragt sie in Richtung Pinne, der prompt die nächste DV-Cassette einschiebt: Eine junge Frau schließt ein noch leeres Café auf und beginnt mit den Vorbereitungen für das Tagesgeschäft. Plötzlich bevölkern Hühner den Bildschirm, flattern vom Tresen auf den Fußboden. „Das sind Einstellungen für einen Tagtraum“, erklärt Rückert. „Warte mal, wieso kommen die Einstellungen jetzt schon?“ Pinne, der auch den Ton beim Filmen genommen hat, beruhigt: „Die Hühner haben wir zuerst gedreht, die mussten dann wieder weg.“
Friederike Rückert erzählt in ihrer Projektarbeit für FilmTrain, einer Kollaboration von Kultureller Filmförderung S.-H., der CAU Kiel, der FH Kiel sowie der Syddansk Universitet in Odense, die Lebenssituation dreier Frauen Ende Zwanzig. (FilmTrain gibt 12 dänischen und deutschen werdenden Dokumentarfilmern durch ein zweijähriges berufsbegleitenden Seminar- und Tutorenprogramm die Möglichkeit, sich Kompetenzen anzueignen, die ihnen später die Realisierung anspruchsvoller, überregional verwertbarer Inhalte aus der jeweiligen Region ermöglichen.) Diese drei Frauen inszeniert Rückert „exemplarisch für den Prozess der Identitätsfindung“, den sie als typisch für unsere heutige Gesellschaft wahrnimmt. Im Spannungsfeld zwischen dem Idealbild des unentwegt produktiven, dabei leistungsfähigen und attraktiven Menschen und der Angst vor Kontrollverlust und Versagen müssen sich die Menschen ihren Lebensweg suchen und erkämpfen.
Die fiktiven, aber aus dem Leben gegriffenen Frauen in Rückerts Film befinden sich in einer Art Schwebezustand, „in einem Alter, in dem sie sich rückblickend fragen können, was sie in ihrem Leben bereits erreicht haben und von was sie einst geträumt haben, dass sie es erreichen wollen. Sie haben bereits alle schmerzhafte Trennungen erlebt und Misserfolge verbucht. Sie haben gemeinsam, dass ihre Mütter in ihrem Alter bereits mehrere Kinder hatten. Sie selbst hingegen sind weit davon entfernt und halten daran fest, nicht erwachsen werden zu wollen“, so Rückert über die zentralen Thesen ihres Projekts. Sie selbst scheint ihren Lebensweg gefunden zu haben. Außer ihrer Tätigkeit als künstlerisch-wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Film – Video – time based media an der „Mu“, studiert sie bei Prof. Wim Wenders an der HfbK Hamburg im Aufbaustudium Visuelle Kommunikation/Film und ist gleichzeitig akademische Tutorin von Prof. Wenders im Lehrbereich „Film und digitales Kino“.
Infomedia: Dein Ansatz ist kein dokumentarischer im klassischen Sinne. Warum hast du diese Form gewählt?
Friederike Rückert: Der Film löst die Grenze zwischen Fiktion und Dokumentation auf, das interessiert mich. Die Inszenierung ist so deutlich, dass klar wird, dass es um den Standpunkt der Filmemacherin geht, nicht um den der Protagonistin. Außerdem kann ich die mir wichtigen Themen in den Fokus bringen. Die filmischen Mittel, die ich verwende, schnelle Schnittfolgen wie bei Musicclips zum Beispiel, dokumentieren darüber hinaus ein Stück Populärkultur. Letztendlich habe ich einen künstlerischen Hintergrund, den ich nicht verleugnen kann.
Infomedia: Du hast deinen Film mit einem Storyboard vorbereitet und damit die Bildwelt vorgegeben. Wie hast du deine Darsteller inszeniert?
F.R.: Meinen Schauspielerinnen habe ich Situationen vorgegeben und ihnen Impulse für die Gespräche gegeben. Die Dialoge haben sich daher nie exakt wiederholt, ein Problem, das wir im Schnitt lösen müssen. Ich habe das Projekt auch als Chance gesehen, wie bei einem Filmdreh zu arbeiten. Durch das Studium und die Arbeit bei Wim Wenders in Hamburg ergaben sich wertvolle Kontakte, so zu meinem Kameramann. Die wollte ich nicht ungenutzt lassen.
Infomedia: Was kommt von der Regisseurin, was von den Protagonisten?
F.R.: Von mir kommt eine fest vorgegebene Geschichte, der Rahmen für jede Szene, jede Situation, von den Frauen kommen die Details. Die Drei spielen quasi sich selbst, sie durften sich aber neu erfinden, auch „lügen“. Da immer deutlich wird, dass es um den Standpunkt der Filmemacherin geht, konnten sie ihren Figuren immer entkommen. Sie sind dann aber doch sehr bei sich selbst geblieben. Aber die Geschichte lenke ich, sie können darin nur agieren. Allerdings sind die Situationen und Orte meinen Darstellerinnen nicht fremd, sondern gehören zu ihrem Leben. Wahrscheinlich blieb das Schauspiel der Drei deshalb auch stets natürlich.
Friederike Rückert (r.) inszeniert eine Darstellerin (Foto: dakro)
Infomedia: Gab es filmische Vorbilder für dieses Projekt?
F.R.: Ich habe versucht, die Leichtigkeit, das Schwebende, das man bei Fellini findet, einzufangen. Thematisch ist mein Film vielleicht das Gegenstück zu Fellinis „Die Müßiggänger“. Die Finnin Eija-Liisa Athila arbeitet im Grenzbereich zwischen Dokumentation und Fiktion und macht emotionale Zustände in ihren überhöhten Inszenierungen sichtbar. Ihre Geschichten beruhen aber auf tatsächlichen Krankheitsgeschichten oder Begebenheiten.
Infomedia: So wie dein Film auf eigenen Erfahrungen und auf Beobachtungen beruht, aber in eine Filmnarration übersetzt wurde. Wohin wirst du dich künstlerisch und filmisch entwickeln?
F.R.: Wahrscheinlich weg von der Kunst. Die Grenzüberschreitungen zwischen Dokumentation und Fiktion machen Spaß, aber es wird mich mehr in Richtung Fiktion ziehen. Es war eine rauschhafte Erfahrung, die eigenen Fantasien filmische Wirklichkeit werden zu sehen.
Mit Friederike Rückert sprach Daniel Krönke.
In Limbo, D 2005, DV. Regie und Buch: Friederike Rückert, Produktion: Friederike Rückert/ Filmtrain, Kamera: Simon Guy Fässler, Darsteller: Marianka Benesch, Melanie Mendrys, Jette Schätzel, Regieassistenz: Christian Straub, Aufnahmeleitung: Gerrit Seyler, Script: Nadine Lindeau, Ton: Torsten Pinne, Beleuchter: Jörg Berger, Bühne: Malte Kneib, Maske: Deele Andrée.