Göttin der Melancholie: Michael Carstens dreht “Katze”
Ein klarer, kalter Januarabend an der Kieler Hörn. Vom Hinterhof des Provinzial-Gebäudes kann man den Blick über Gleise vorbei am Cap vom Germania-Hafen über das voll beleuchtete ehemalige Ision-Gebäude bis zur Gablenz-Brücke schweifen lassen. Doch dieser maritim-romantische Anblick kann das kleine Film-Team, das hier die letzten Vorbereitungen für eine komplizierte Kranfahrt trifft, nicht ablenken. Regisseur Michael Carstens steht bereits zusammen mit Kameramann Malte Nieschalk und dem Kamera-Equipment auf der Plattform der Hebebühne und schwebt in Richtung der Fassade des Bürokomplexes.
Regisseur Carstens und Kameramann Nieschalk auf der Hebebühne
Drinnen in einer der Büroetagen der Provinzial warten die Schauspieler auf ihren Einsatz. Regieassistentin Alexandra Eck gibt die Anweisungen des “unsichtbaren” Regisseurs per Walkie Talkie an Hauptdarstellerin Nina Hecklau weiter. Hecklau, im schicken Hosenanzug, steht von ihrem Büroplatz auf und geht ans Fenster, versenkt ihren Blick in die Nacht. Ein ums andere Mal wird die Einstellung wiederholt, Lichtsetzung und Position werden korrigiert, die Fahrt muss stimmen. Doch dann sind Michael Carstens und sein “Auge” Malte Nieschalk zufrieden: die erste Einstellung im späteren Film ist im Kasten.
Auf der Suche nach dem richtigen Bild
“Das Bild der Katze beeindruckte mich”, erzählt Michael Carstens, (bald nicht mehr) Kieler Video-Jockey der “optischen Bank”, Filmprogramm-Macher und Kurzfilmer. Die vielschichtige Metapher “Katze” entdeckte Carstens in der gleichnamigen Kurzgeschichte aus dem Zyklus “Satellitenstadt” des Schweizer Autors Thomas Hürtlimann. Der Romancier und Theaterschreiber erzählt in verschiedenen Episoden aus dem Leben von Ka und Josch, einem Paar, das in der Trabentenstadt einer Metropole sein Leben fristet. Carstens interessierte die Episode, in der Hürtlimann das langsame Absinken von Ka in Depressionen beschreibt. Der Text, in dem die namensgebende Katze mehrfach auftaucht, inspirierte den Filmemacher: “Vor meinem inneren Auge entstanden Bilder, die die Apathie und Depression der Protagonistin zum Ausdruck bringen können.”
Durch seine Arbeit für das Literaturtelefon der Stadt Kiel mit dem Autoren bekannt, konnte Carstens sich das Einverständnis des Literaten für eine Verfilmung einholen und mit dem Ammann Verlag vertraglich regeln. Ähnliches Glück war der Produktion bezüglich des Soundtracks beschieden: Beth Gibbons, Sängerin der TripHop Formation Portishead, gab nach einem Briefwechsel auf Wunsch des Filmemachers einen Track ihrer Soloproduktion für eine zweijährige Festivalauswertung des Kurzfilms frei.
Die Finanzierung für seinen dritten Kurzfilm stellte Carstens aus Mitteln der Filmförderung Aarhus, dem Kulturamt Kiel und mit privatem Kapital auf die Beine. Die Kulturelle Filmförderung Schleswig Holstein unterstützt das Projekt mit Beratung und Equipment. Viele Kieler Firmen seien ihm mit günstigen Konditionen entgegengekommen, und er habe problemlos Drehgenehmigungen für Supermarkt, Bürogebäude oder Privatwohnung bekommen können.
Als Hauptdarsteller konnte Carstens den Kieler Film- und Fernsehschauspieler Matthias Harrybye-Brandt für die Rolle des Josch und Nina Hecklau, Frankfurter Theater- und Filmschauspielerin, für die Rolle der Ka gewinnen. Für beide ist es die zweite Zusammenarbeit mit Carstens.
“Depression ist eine Volkskrankheit und der Bedarf an Aufklärung ist groß”, konstatiert Nina Hecklau. Auch deshalb reizte sie die Herausforderung, eine depressive Frau zu spielen. “Oftmals funktionieren die Menschen noch und man merkt den Kranken ihre Krankheit gar nicht einmal an. Depressive Menschen halten sich oft selbst für die Schuldigen.” Hecklau hält den Kurzfilm für ein passendes Format, denn es kommt schnell auf den Punkt und läuft nicht Gefahr, den Zuschauer mit einer zu langen Schilderung der Krankheit zu verschrecken. “Außerdem hat diese Geschichte eine glückliches Ende”, denn das Paar übersteht die Krise.
Haupdarstellerin Nina Hecklau: Blick in die Dunkelheit
Die an Außenseiterrollen und interdisziplinärem Arbeiten interessierte Schauspielerin hat sich mittels anderer Filme zu diesem Thema und, wie auch Regisseur Carstens, durch Gespräche mit depressiv erkrankten oder von der Depression geheilten Menschen für die Darstellung der Ka vorbereitet. Darüber hinaus vertraut sie auf die Führung ihres Regisseurs.
Mit Malte Nieschalk konnte Carstens einen mittlerweile erfahrenen Kamera-Allrounder der schleswig-holsteinischen Kurzfilmszene für eine erneute Zusammenarbeit gewinnen. Nieschalk setzt nicht nur die von Carstens gewünschten klaren, kühlen Bilder um, sondern schafft durch den Einsatz einer Canon XL2 (16:9-Chip, 25 Vollbilder) in Verbindung mit Filmoptiken einen Filmlook, der nach Sichtung der ersten Aufnahmen überzeugend wirkt. “Die Tiefenschärfe ist durch die Optiken wie beim Arbeiten mit der Filmkamera, die Beleuchtung wird daher auch ähnlich gesetzt.” Nur bei sehr dunklen Szenen müsse man weiterhin mit den videotypischen Rauscheffekten rechnen, so Nieschalk. Während des 8-tägigen Drehs setzt Nieschalk die Kamera auf unterschiedlichste Weise ein, um den gewünschten Effekt zu erzielen: von statischen Einstellungen über Schulterkamera bis zur bereits erwähnten Hebebühne. Die kommt auch als Lichtbühne zum Einsatz, wenn Nieschalk mit seinem Beleuchter in einer zentralen Sequenz die Protagonistin in ihrem Zimmer in zeitraffenden Einstellungen gefangen in ihrer Apathie mit Lichtstimmungen von Sonnenaufgang bis Nacht ausleuchten und filmen muss. “In dieser Einstellung arbeiten wir mit einem 360-Grad-Schwenkkopf” schwärmt der Kameramann. “Der erlaubt uns komplexe Kamerabewegungen wie Drehungen um die optische Achse auf kleinstem Raum”.
Carstens inszeniert sein Ensemble (3.v.l.: Matthias Harrebye-Brandt) (Fotos: dakro)
Die Darstellerin der Titelrolle wird allerdings nicht am Set erwartet. Jedem Filmemacher ist klar, dass Katzen vor der Kamera ein unkalkulierbares Risiko sind. Hier wird der digitale Zauberstab helfen, in der Post-Production werden Blue Screen-Aufnahmen einer Katze in den Film eingefügt. Die Post Production wird voraussichtlich im Mai abgeschlossen sein. (dakro)
Katze, D 2005, DV. Regie und Buch: Michael Carstens (nach einer Kurzgeschichte von Thomas Hürtlimann), Produktion: Verena Nendza, Kamera: Malte Nieschalk, Darsteller: Nina Hecklau (Ka), Matthias Harrebye-Brandt (Josch), Regieassistenz: Alexandra Eck, Ausstattung: Tiene Hielscher, Kostüm: Sabine Waitzbauer, Ton: Matthias Kunz, Beleuchter: Sebastian Götlich, Maske: Maria Reinhardt, Visual Effects: Julian Hermannsen, Schnitt: Mirja Gerle.