55. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2005
Den Dreh raus mit drei Seebären
Beim 3. Filmbrunch Schleswig-Holstein „Küstenvolk auf der Berlinale“ wurden erstmals „Seebären“ als Ehrenpreise verliehen
Zum dritten Mal luden am 14. Februar Ministerpräsidentin Heide Simonis, Kulturelle Filmförderung S.-H. und MSH das „Küstenvolk auf der Berlinale“ zum Film-Brunch in die schleswig-holsteinische Landesvertretung. Etwa 100 Filmschaffende und Vertreter der Medienbranche im Lande konnten dabei, moderiert von der Journalistin Andrea Wilke und musikalisch begleitet von Richard Wester und Rolf Hammermüller, eine Premiere erleben: die Verleihung der ersten drei „Seebären“ an Filmschaffende, die, so Heide Simonis in ihrem Grußwort, „das Land und seine Leute sympathisch ins Bild setzen“.
Ganz bewusst wurden also weniger Filme als vielmehr deren Macher als Beispiele für kontinuierliche und zum Teil langjährige Filmarbeit im Norden ausgezeichnet und dass dabei aktuelle Erfolge der Filmförderung wie der Max Ophüls-Preis für Lars Jessens „Am Tag, als Bobby Ewing starb“ eher nur am Rande erwähnt wurden, gehörte offenbar zum Konzept.
Altbekannt und von Heide Simonis auch diesmal bild- und scherzreich besungen ist die Schwierigkeit, die der filmende Norden mit seinem Selbstbewusstsein und seiner vermeintlichen, manchmal aber auch sich bestätigenden Provinzialität hat. So bemühte Simonis die Landkarte, auf der „wir geografisch der Kopf der Republik“ und „auf vielen Gebieten immer eine Nasenlänge voraus“ seien. „Unser Blick reicht weiter als bis zur eigenen Nase. Wir können die Perspektive ändern und so Chancen in der modernen Welt sehen. Aber wir nehmen unser Bewusstsein für die eigene Geschichte und unsere Eigenheiten mit in die modernen Zeiten.“
Entsprechend „eigen“ wirkte dann auch schon das von der schleswig-holsteinischen Künstlerin Jutta Reichelt entworfene Design der „Seebären“, „stramm, bärtig, wortkarg und vielleicht auch ein bisschen stur“, so charakterisierte es Simonis „mit einem Augenzwinkern“. „Verspätet karnevalesk“ nannte es ein Spötter am Rande der Veranstaltung.
Objektiv betrachtet muss sich das Filmland Schleswig-Holstein hingegen nicht hinter der immer wieder gern selbst aufgezogenen Maske der Provinzialität verstecken. Die Erfolgsliste des letzten Jahres, die Heide Simonis aufzählte, reicht vom Deutschen Kurzfilmpreis für den von der Kulturellen Filmförderung geförderten „Nome Road System“ von Rainer Komers über die 32 Festivalteilnahmen und sieben Preise des von der MSH als freies Projekt geförderten und von der Filmwerkstatt der Kulturellen Filmförderung unterstützten Kurzfilms „Tödliche Roman(z)e“ von Gerald Grote und Claus Oppermann, den Max Ophüls-Preis für Lars Jessens „Am Tag, als Bobby Ewing starb“, den Kulturelle Filmförderung und MSH gemeinsam förderten, bis zum demnächst gesendeten Doku-Drama „Die wundersame Reise des Hans Christian Andersen“, das Wilfried Hauke in einer Koproduktion von Danmarks Radio, DM Film aus Kiel und ARTE mit einem ganz und gar nicht provinziellen Budget von 1 Mio. Euro produzierte. Und auch bei der Ausbildung des Nachwuchses hat „der Norden den Dreh raus“ – mit der schleswig-holsteinisch-jütländischen Kooperation beim Weiterbildungsprogramm Filmtrain und Wim Wenders‘ Filmklasse, die sich jüngst den Schönberger Strand bei Kiel als Dreh-Location aussuchte.
Vielleicht ist das typisch Norddeutsche beim Filmemachen auch nicht, dass es provinziell ist, sondern dass es einen liebevoll-selbstironischen Blick darauf entwickelt hat. Zumindest ist der allen „Seebär“-Preisträgern eigen – und vielfach erfrischend unartig. So zeichnete die Kulturelle Filmförderung mit dem „weißen Seebären“ Manfred Jelinski aus, der in seinem Kurzfilm „Mein schönes Husum“ ein ironisches Stadtporträt in über 60 Hinweisschildern entwarf. Nicht die Sehenswürdigkeiten, sondern der Schilderwald, der auf sie weist, kommen ins Bild – fast schon ein Motto für das gespaltene Verhältnis des Nordens zu sich selbst. Jelinski wurde aber ebenso ausgezeichnet „als in den 80er und 90er Jahren wichtigste Kontaktperson für die Super-8-Szene, den filmisch-ästhetischen Underground des Landes, aus dem sich – auch über die gute und profunde Basisarbeit der Kulturellen Filmförderung – so manches Filmtalent entwickelte“, so Claudia Willke, Vereinsvorsitzende der Kulturellen Filmförderung S.-H., die den Preis in Vertretung für den erkrankten Geschäftsführer Bernd-Günther Nahm überreichte.
Schilderwälder in Nordfriesland, Schildbürgereien in der Wilster Marsch – auch der von der Ministerpräsidentin verliehene „rote Seebär“ ehrte das filmische Werk eines liebevoll-ironisch auf das Land und seine Leute Blickenden. Karl Siebigs „Dorfgeschichten“, die er seit Jahren für das „Schleswig-Holstein-Magazin“ des NDR produziert und die inzwischen fast Kult-Charakter haben, „zeigen die Idylle, wenn sie uns begegnet“, so Siebig über seinen filmischen Blick auf die Zusammenlegung der wilstermarscher Gemeinden Neuendorf und Sachsenbande und den daraus folgenden Streit um die Umbenennung in „Bredensee“. Mit Bauernschläue wehren sich die Dorfbewohner gegen den bürokratischen Akt, bei dem Doppelnamen zwar „erlaubt“ aber nicht „erwünscht“ sind, entschlüsseln das Amtsdeutsch zu „Sollte heißt muss, wenn man nicht kann“ und erreichen schließlich, dass ihr Dorf „Neuendorf-Sachsenbande“ heißen darf. Typisch schleswig-holsteinisch – oder wie Heide Simonis in ihrer Laudatio sagte: „Wir sind selbstbewusst genug, den Ernst der großen Fragen auch in Dingen zu erkennen, die anderen Menschen belanglos erscheinen. Diese unsere Vorzüge hat Karl Siebig amüsant in Bilder gefasst, ohne sich lustig zu machen.“
Auch der „blaue Seebär“, verliehen von der MSH, ging an eine NDR-Produktion, genauer: an den Schauspieler Mehdi Moinzadeh für seine Darstellung des Assistenten von Kommissar Borowski (Axel Milberg) im ersten Kieler Tatort. Auch darin muss „Bauernschläue“ gegen Bürokratismus ins Feld ziehen und das an einem „mehr als skurrilen Drehort, der jahrelangen Baustelle des Kieler Hauptbahnhofs“, so MSH-Geschäftsführer Roland Schmidt, der die Stärke des schleswig-holsteinischen Films darin sieht, dass es „beim Publikum einen Bedarf gibt sich Sachen anzuschauen, die nicht aus den Großstädten, sondern aus der Fläche kommen – das Neue gibt’s vom Land“.
Oder aus Flensburg, der Heimatstadt des Filmemachers Till Franzen. In seinem gerade fertig gestellten und auf der Berlinale nun doch leider nicht gezeigten Spielfilm „Die blaue Grenze“ durfte Franzen Schauspielgrößen wie Hanna Schygulla und Dominik Horwitz „durch einen wunderbaren Drehort schicken“ und damit „ein Stück Schleswig-Holstein in andere Länder tragen“. Franzen berichtete über die Dreharbeiten, lobte die Unverzichtbarkeit der Filmförderer MSH und Kulturelle Filmförderung und erzählte eine Anekdote, die auf zauberhafte Weise zeigt, was Film sein kann – auch und gerade im Norden mit seinen eigenartigen Eigenheiten: „Als Kind wollte ich Zauberer werden. Aber Zauberei hatte keine Zukunft, also kam ich zum Film.“ Oder: wie sagt es – leicht abgewandelt – der Volksmund im Land zwischen den Meeren? „Sollen heißt müssen, wenn man doch kann.“ (jm)