Podiumsdiskussion: Perspektiven des kreativen Films
Zwei Generationen Film- und Fernsehkultur fanden sich am 2. Dezember auf Einladung der Kulturellen Filmförderung S.-H. auf dem Podium in der Kieler Pumpe zusammen, um über die „Perspektiven des kreativen Films“ zu diskutieren: die „alten Hasen“ in Person von Hans W. Geißendörfer (Produzent und Erfinder der TV-Serie „Lindenstraße“) und Hark Bohm (Regisseur und Leiter der Filmklasse der Hamburg Media School), die das Entstehen des Autorenkinos und des „Neuen Deutschen Films“ in den 60er Jahren erlebt und mit geprägt hatten, sowie eine jüngere Gruppe von Film und TV-Schaffenden, die bereits in einer entwickelten Fernseh- und Kinolandschaft sozialisiert wurden, und ihre professionelle Arbeit auf den vorhandenen Produktionsstrukturen aufbauen konnten.
Diskutanten auf dem Podium (v.l.): Lars Jessen, Daniela Mussgiller, Hans W. Geißendörfer, Bernd-Günther Nahm, Hark Bohm, C. Cay Wesnigk
Lars Jessen, Regisseur und Autor, hat neben Vorabendserien („Großstadtrevier“) auch Langfilme realisiert, und arbeitet zur Zeit an einer Satire über die Anti-AKW Bewegung zu Beginn der 80er Jahre („Am Tag, als Bobby Ewing starb“). Daniela Mussgiller arbeitet für die Fernsehspiel-Redaktion des NDR in der Reihe „Debüt im Ersten“, und C. Cay Wesnigk ist freier Dokumentarfilm-Produzent aus Bad Schwartau („Kinder, Kader, Kommandeure“, „Hitlers Hitparade“).
Auf die einleitende Frage ob die „fetten Jahre“ für den kreativen Film vorbei seien, wurde im wechselseitigen Gespräch deutlich, das zwar einerseits Förderungsmöglichkeiten geringer und der Kostendruck immer stärker würden, dass dem aber andererseits auch eine große Vielfalt von jungen Talenten und kreativen Ideen gegenüber stehe. In Verbindung mit den neuen, kostengünstigen Produktionsmethoden der digitalen Medien lauere da ein Potential, das abseits von Einschaltquoten und festen Sendeformaten ein Publikum erreichen könne. Hark Bohm nannte den Film „Muxmäuschenstill“ als Beispiel.
Besonders im Dokumentarfilmbereich, merkte Cay Wesnigk an, sei aber die Schattenseite dieser Vielfalt auch ein Einbrechen der Verdienstmöglichkeiten, weil aus Sicht der Käufer, die „Ware Film“ immer billiger zu haben sei. Ohne zusätzlichen „Brotjob“ könne heute kein Dokumentarfilmer überleben. Das Podium war sich darin einig, dass ohne Förderung durch TV-Anstalten und Filmfördereinrichtungen kreatives Filmschaffen nicht möglich sei.
Hans W. Geißendörfer betrachtete das Fernsehen sogar als „Akademie“ der Filmemacher, wo sie Handwerk und kleine Formate erproben und erlernen könnten, bevor sie sich ans Kino wagten.
Bernd-Günther Nahm, Moderator und Gastgeber des Abends, erläuterte in diesem Zusammenhang die Struktur der Kulturellen Filmförderung Schleswig-Holstein, die mit ihrer Basisförderung aus finanziellem Fördertopf, Weiterbildungsveranstaltungen und Technikverleih genau die Filmschaffenden unterstützen könnte, die unkonventionelle Wege beschreiten wollten, ohne wirtschaftlichen oder redaktionellen Druck.
Dem gegenüber stünden aber die aufwändigen Kino- und Fernsehproduktionen, die auf vertraute und erprobte Genres und Erzählmuster bauten, weil, wie Daniela Mussgiller auf Einwand von Lars Jessen zugeben musste, das Fernsehen als Co-Produzent weder inhaltlich noch formal besondere Experimentierfreude zulasse.
In den 60er und 70er Jahren, habe man dagegen, nach Ansicht von Hark Bohm, als junger Autorenfilmer noch eine gewisse Narrenfreiheit beim Fernsehen gehabt und viel inhaltliche Unterstützung erfahren, wobei die Idee des Autorenkinos nicht nur aus dem berühmten Protest gegen „Opas Kino“ hervorgegangen sei, sondern auch aus dem Fehlen einer Autorenförderung entstand, die den Filmemachern gar nichts anderes übrig gelassen habe, als ihre eigenen Stoffe autodidaktisch zu entwickeln. Die heutigen Ausbildungsstrukturen im Filmbereich seien allerdings stark auf eine Aufgabenteilung zwischen Stoffentwicklung und Inszenierung ausgelegt.
Mit Blick auf den internationalen Erfolg des kleinen Filmlands Dänemark wurde festgestellt, dass in der wesentlich größeren deutschen Medienbranche nicht nur allgemein stärkere Missgunst herrsche, sondern dass die heimischen Kino-Produktionen auch nicht auf „kulturelle Solidarität“ hoffen könnten, die in Dänemark das Publikum ins Kino strömen lasse, nur weil ein Filme im eigenen Land produziert wurde.
Wichtiger sei jedoch, dass in Dänemark das erzählerische Element im Vordergrund stehe, mit Geschichten, die stärker im Alltag der Menschen verankert seien und die im Sinn der „natural story“ dichter an ihrem Erfahrungshorizont seien und daraus ihre Dramatik entwickelten. In Deutschland finde sich diese Tradition am ehesten noch im Fernsehspiel.
Offen gelassen werden musste die Frage, ob die parallelen Trends zu hoch budgetierten Genre-Produktionen einerseits und kleinen, unkonventionellen Videoformaten andererseits auf lange Sicht weiter Bestand haben oder ob im Zuge der digitalen Entwicklung auch die Grenzen zwischen Kino und Fernsehen endgültig aufgehoben werden.
Hans W. Geißendörfer bei der Preview von „Schneeland“ im KoKi (Fotos: Lorenz Müller)
Der Podiumsdiskussion voraus gegangen war eine Preview des neuen Kinofilms von Hans W. Geißendörfer „Schneeland“, die ebenso wie die Abendveranstaltung auf großes Publikumsinteresse stieß. (Lorenz Müller, bgn)