46. Nordische Filmtage Lübeck

Anatomie eines Schmerzes

„Lasset die Kinder / Aftermath / Lad de små børn“ (DK 2004, Paprika Steen)

Wie eine Fortsetzung von „Open Hearts“ (DK 2002, Susanne Bier) scheint das Regiedebüt der dänischen Schauspielerin Paprika Steen. Ein Autounfall zerstört in „Open Hearts“ das Leben zweier Familien, in „Lasset die Kinder“ ist es der Schmerz über den Tod der verunfallten Tochter, der eine Ehe ins Wanken bringt.

Schmerz ist bohrend, er schafft Löcher im Dasein. Die Sozialarbeiterin Britt (Sofie Gråbøl) und ihr Mann, der Architekt Claes (Mikael Brikkjær), versuchen nach dem Tod ihrer Tochter diese zu stopfen, indem sie ganz normal weiterleben. Doch die unbewältigte Trauer mischt sich zunehmend in ihren Alltag – bei der Arbeit wie in der Beziehung zu Freunden. Britt steigert sich in die anfangs rein berufliche Beziehung zu einer von ihr betreuten drogensüchtigen Mutter und deren Kind. Das Kind wird ihr ein und alles, Ersatz für die verlorene Tochter, was ihr schließlich die weitere Ausübung ihrer Betreuertätigkeit unmöglich macht. Claes zieht sich immer mehr aus der Ehe mit Britt zurück und stellt der Verursacherin des Unfalls, einer alkoholabhängigen und vereinsamten Wohnungsmaklerin, in einer verhängnisvollen amour fou nach.

In eindrucksvollen Bildern schildert Paprika Steen den allmählichen, aber unaufhaltsamen Zerfallsprozess, den der Schmerz in ihren Protagonisten anrichtet. Die Kamera zoomt auf eine Ansammlung von Fernsehern mit Testbild in einem nächtlich beleuchteten Schaufenster oder auf verlassene Schaukeln auf einem Kinderspielplatz. Noch eindrücklicher ist jedoch die Allmählichkeit, in der die Beziehungen in Einsamkeiten zerbröseln. Geradezu mit anatomischer Präzision zeigt der Plot die Unausweichlichkeit im Streben der Figuren nach einer nur scheinbaren Unterdrückung des Schmerzes in Illusionen. Liebe in ihren schrägen Facetten, zu einem anvertrauten aber fremden Kind bei Britt, zu der „Mörderin“ des eigenen Kindes bei Claes, kann keine Wunden heilen, ist vielmehr eindringlicher Ausdruck des Schmerzes, der Menschen zerfrisst wie ein Geschwür.

Paprika Steens ebenso verstörender wie die schmerzvollen Seelenzustände treffend bebildernder Film gewann bei den Nordischen Filmtagen den Baltischen Filmpreis. (gls)

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