5. Flensburger Kurzfilmtage

Geschichte(n) – Ein Blick auf den 4. Teil des Wettbewerbs

Geschichte besteht aus Geschichten, die der Kurzfilm im Wettbewerb 4 der 5. Flensburger Kurzfilmtage kurz wie bündig (nach-) erzählt. Etwa, wenn sich drei Altgediente aber schon längst in der Isolationsfolter des bundesbürgerlichen Marsches durch die Institutionen Angekommene zum „Kommando Holger Meins“ vereinen, um die Revolte von damals nocheinmal aufleben zu lassen. Tobias Pepers 15-Minüter (gefördert von der Kulturellen Filmförderung S.-H.) ist ein ironischer Kommentar zum Deutschen Herbst, vor allem zu seinen Nachwehen 27 Jahre später. Was ehemals nicht nur gegen den Vietnamkrieg demonstrierte, aber schon längst nicht mehr gegen den gleichnamigen Angriff des US-Imperialismus auf den Irak, ist heute Rechtsanwalt, Werbedesigner und Inhaber einer immerhin noch alternativen Buchhandlung.

Werner, Joachim und Heiner lassen die Stadtguerilla wiederaufleben, stellen sich beim Banküberfall zur Geldbeschaffung für den revolutionären Kampf so ungeschickt an, wie einst die RAF nicht, und denken darüber nach, dass „die Avantgarde bei der Motorisierung anfängt“. Kein BMW wie damals bei Bader, sondern ein Volvo muss es sein, der ladehemmt, wenn er zum Fluchtauto dienen soll. Wie seine Genossen, die beim Kampfsporttraining mehr schwitzen als auf Ches und Dutschkes Schriften sattelfest zu sitzen. Das „perfekte Revolutionsdesign“ muss „atmungsaktiv“ sein, weiß Joachim. Doch die Mikrofaser versagt beim Angriff auf das System, weil sie Teil des Problems, nicht Teil seiner Lösung ist. Herrlich ironisch, traurig der Zukunft zugewandt, die nur noch Behelfsrevolutionäre vorbringt, ist dieses kleine Epos über vice versa großmachtssüchtige Geschichte.

Großmächtig ging einst auch Kolumbus an Land des neuen Kontinents, um zweifelhafte Segnungen abendländischer Eroberungskultur an Amerikas Stränden zu predigen. Jasper Ahrens dreht in seinem 10-Minuten-Shorty namens „The Day Winston Ngakambe came to Kiel“ die Verhältnisse um. Der weiße Mann von ehedem ist nunmehr ein Schwarzer (göttlich imperial: Errol Shaker), der dem Langnese-Eis-schleckenden weißen Urlauber-Proll-Pack verkündet, dass es zum Glückserwerb protestantisch hart arbeiten müsse. Geschichte muss manchmal revidiert werden in diametral umgekehrt erzählten Geschichten.

„Tödliche Roman(z)e“ von Gerald Grote, Claus Oppermann und Karsten Weyershausen (und gefördert von der MSH) geht da nicht anders vor. Nicht weniger als 40 Romane werden gegen den Strich gelesen und in Szene gesetzt in einem Kurzfilm-Roman der Romane in neun Minuten. Nur drei Minuten Filmmaterial aus vergangenen Epochen hatte dagegen Markus Fiedler zur Verfügung. Sein Poem aus dem im Familien-Album gefundenen Schmalfilm-Material ist Eins zu Eins ein Porträt der nachträglich lächerlich wirkenden großen Zeiten mit Nazi-Flaggen-Schwenk zu „Mein 3. Geburtstag“.

Wenn die Geschichte so überfällig ist, so nachgeholt im Vorholen, ist es vielleicht besser, wenn man hinter ihr verschwindet. Eva Könnemann porträtiert in „Light Boy“ einen Verschwundenen, einen Nerd mit Hornbrille, aus den nachträglichen Interview-Aussagen seiner Begleiter. Tom will Popstar werden und dann, auf der Höhe des Ruhms, bei einem Konzert im Pudels Club verschwinden. Seine darüber philosophierende Geheimsprache „Luminatica“ bleibt auch den Zurückgebliebenen unentschlüsselbar. Es sei denn, sie begäben sich auf denselben Weg des „Abdrehens“ und hinter sich und ihrem Text Verschwindens. Ein Doku-Fake, das amüsiert und zugleich nachdenklich macht über die Falten des Mantels der Geschichte, die nur wenige glätten.

Verschwunden in einer exemplarischen Vignette ist auch der Held in „Zwölf 1/2 Minuten“ von Joscha Douma. Das „durchschnittliche Mitglied unserer Gesellschaft“ mäht seinen Wüstenrot-Rasen und sieht abends im Fernsehen die Bilder der Verwechselbarkeit, die den Durchschnitt ausmachen. Dabei vom Hundertsten ins Tausendste von dem, was Welt ausmacht, zu kommen, ist die ganz bewusste Larifari-Strategie des Films, der sich fragt, was vom Tage an Geschichten übrig bleibt, wenn man einschläft und dazu durchschnittlich statistisch betrachtet zwölf-einhalb Minuten braucht.

Ein Geschäft des Verschwindens aus der Geschichte ist auch das Leben eines Eremiten. Zumal wenn er nur „Zier-Eremit“ ist. Im 18. Jahrhundert hielten sich postmoderne Fürsten solche in ihren konstruierten Garten-Ruinen des Empfindsamen. Das war damals schick. Tobias Sandbergers „Das Buch des Eremiten“ erzählt von solchem Gebeutelten, von der Liebe der Fürstin zu solchem Outcast und dessen Liebe zum Überzeitlichen der Bücher. Skurril, aber nur selten schlüssig entsteht ein Panorama über ein bisher wenig bekanntes Kulturphänomen.

Wesentlich gegenwärtiger wirkt Sylvie Lazzarinis „Zwei Jahre und ein Tag“. Sasha und Boris kommen aus dem bosnischen Kriegsgebiet. Doch die zeitliche Verschobenheit ihrer Ankunft im gelobten Exil Deutschland bewirkt geschichtliche Dyskongruenzen. Boris will Sasha zurück in die Heimat holen, der Liebe wegen. Doch Sasha ist längst hier, in Deutschland, spärlich heimisch geworden. Stoff für einen Konflikt, der zeigt, dass Geschichte(n) nicht unbedingt Heimat bedeuten, dass man geschichtslos aber auch nicht heim kommen kann.

Geschichte(n), das zeigt der 4. Teil des Flensburger Kurzfilmfestivals, wollen erzählt werden. Aber am Ende der Geschichte(n) ist es manchmal wie bei Brecht: Vorhang zu und – glücklicherweise – alle Fragen offen. Und das passt haargenau auf das dynamisch sich entwickelnde Genre des Kurzfilms. (jm)

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