“Warum ist der Himmel blau?”
Elizabeth Cortiñas Hildalgo über ihren neuen Dokumentarfilm
“Warum ist der Himmel blau?” (AT) ist die Geschichte meines Großvaters und die Beziehung zu seinem Auto, einem blauen Seat 127.
Dieser Seat bedeutete meinem Großvater stets ein großes Stück Freiheit. Denn es erlaubte ihm, vor meiner fatalistischen Großmutter fliehen zu können, die ihm alles verbat. Selbst das Autofahren. Immer musste er Ausreden finden, um wegfahren zu können. Und sei es nur, um etwas zu holen, das er angeblich auf der Einkaufsliste übersehen hatte. Wenn gar nichts mehr half, wurden jeweils wir Kinder eingesetzt, um bei unserer Oma auf die Dringlichkeit eines Ausflugs zu schwören.
Diese besondere Bindung zu dem Auto wurde vor etwa zwei Jahren stark beeinträchtig, als mein Großvater anfing zu erblinden. Er bekam den grauen Star auf beiden Augen und verletzte sich zusätzlich am linken Auge bei einem Haushaltsunfall so sehr, dass er das Augenlicht verlor. Nach mehreren Operationen konnte nichts gerettet werden. Das linke Auge war blind und der hohe Blutdruck an den Augen verschlechterte die übrige Sicht vom rechten Auge.
Ein Leben ohne Ausflüge, ohne die essentielle Flucht schien für meinen Großvater keinen Sinn mehr zu machen. Er verkaufte sein Auto und versuchte sich anschließend das Leben zu nehmen.
Jetzt wartet er erneut auf eine Augenoperation, die ihm helfen soll das Augenlicht zurückzuerlangen. Dass er nie mehr fahren wird, hat er mittlerweile schweren Herzens akzeptiert. Doch den Glaube daran, wieder sehen zu können, hat er nicht verloren.
Ein bisschen Vorgeschichte
Vor zweieinanhalb Jahren, damals lebte ich in Dänemark, erfuhr ich vom Unfall und Selbstmordversuch meines Großvaters. Ich konnte nicht sofort auf die Kanarischen Inseln fliegen und meine Familie, streng katholisch, versuchte den Vorfall herunter zu spielen, gar zu dementieren. Eine Zeit lang kam ich an ihn nicht ran, bis ich ihn irgendwann doch am Telefon hatte. Meine Angst ihn nie wieder zu sehen war so groß, dass ich anfing unsere telefonischen Gespräche auf Tonband aufzuzeichnen. Erst später dachte ich daran einen Film darüber zu machen.
Ich bin bei meinen Großeltern quasi aufgewachsen und war meines Großvaters engste Verbündete in Kampf gegen meine Großmutter, die alle in ihr Unglück mit zu reißen versuchte. Ich bewunderte seine Überlebenskraft und den unverkennbaren Humor, den er sogar bei unseren häufigen Familienkatastrophen bewahrte. Er war nicht nur ein lustiger Opa, er war mir und meinen Brüdern ein Vater.
Meine Großeltern waren sehr arme Leute, die die spanische Nachkriegszeit in Not und Elend durchlebten und die sich mit viel Mühe ein Haus am Rand von Las Palmas City gebaut hatten. Mein Opa arbeitete Jahre lang als Portier eines vornehmenden Hauses und meine Großmutter als Putzfrau und Babysitter. Bis sie frühzeitig aufgrund ihres Übergewichts und den damit verbundenen Problemen in den Ruhestand ging. Seitdem nahm sie noch mehr zu und wurde zu einem eingefleischten TV-Junkie. Ihre letzte Anschaffung sind schnurlosen Kopfhörer, somit ist sie an einse der Fernsehgeräten angeschlossen und kann sich dabei frei durchs Haus bewegen.
Im Haus meiner Großeltern leben auch mein verrückter Großonkel Miguel, der sich auf dem Dach ein kleines Zimmer mit Bad baute und seine Zeit damit verbringt Tarzan-Filme zu gucken – einmal hat er sich den Tarzan-Schrei über zehn Mal hintereinander auf eine Kassette aufgenommen, womit er uns jeden Sonntag früh weckte -, meine autistische Tante Encarnita, die eigentliche Säule dieses Hauses, die den Haushalt schmeißt und sich um meine Großeltern kümmert, und mein kleiner Bruder, der aus dem großen Keller des Hauses sein eigenes Haus baut.
Work in progress
Meine erste Reise nach den Ereignissen um meinen Großvater machte ich im Juni 2003. Mit einem kleinen Exposé und kaum einer Idee über das, was ich vorfinden würde – ich war zu dem Zeitpunkt drei Jahre nicht mehr dort zu Besuch gewesen, flog ich auf die Kanarischen Inseln und begann die ersten Dreharbeiten. Damals war ich mir nicht so sicher, ob daraus ein Film werden könnte oder ob es sich mehr um eine Erinnerungssicherung für mich handeln würde. Trotz alledem hat mir die Filmwerkstatt in Kiel blind vertraut und mir Equipment geliehen.
Die Dreharbeiten waren sehr hart, mein Freund und ich wechselten uns mit der Kamera ab, aber ich war emotional so erschlagen und mitgenommen von dem, was ich sah, dass ich zwischendurch den Überblick und den Glauben an dem Projekt verlor. Zusätzlich kam die körperliche Angstrengung bei den Außenaufnahmen, da mein Großvater sich an mich halten musste, um gehen zu können. Somit war ich ihm vollkommen gewidmet und konnte weder Kamera noch Ton machen.
Zu dem Zeitpunkt war mein Großvater bereits seit einem Jahr auf einer Warteliste für eine Augenoperation. Ich versuchte Druck bei der Krankenkasse und beim zuständigen Krankenhaus zu machen, doch alles schien ziemlich erfolglos. Ich hatte mich schon mit dem Gedanken anfreunden müssen, nach Hause zu fahren, ohne bei der OP dabei zu sein. Zwei Tage vor meiner Abreise gab das Krankenhaus jedoch einen Termin für drei Tage später bekannt. Ich verlängerte mein Ticket und konnte ihn dabei begleiten, was für ihn und auch für mich, enorm wichtig war. Nach acht Stunden unendlichen Wartens im Krankenhaus wurde er operiert. Ob die Operation erfolgreich war oder nicht, konnte ich vor Ort nicht mehr erfahren, da ich drei Tage später wegfliegen musste.
Die zweite Reise unternahm ich im Mai 2004. Dieses Mal musste ich alleine fliegen, da ich weiterhin ohne Produktionsfirma oder Förderung arbeitete. Ich hätte sicherlich warten können, bis ich eine Produktionsfirma gefunden hätte, zu dem Zeitpunkt hatten einige Interesse geäußert. Aber in einen angefangenen Produktionsprozess steigt kaum jemand ein – also fuhr ich allein.
Mittlerweile war ich an der Kunsthochschule für Medien in Köln angenommen worden und konnte mit der Ausrüstung der Schule wenigstens den technischen Part decken. Ich blieb drei Wochen auf Gran Canaria und drehte insbesondere, was aus der Augenoperation geworden war und wie sich mein Großvater in der neuen Situation zurechtfand. Da ich Kamera und Ton alleine machte, war mein Drehpensium nicht sehr groß. Aus diesem Grund werde ich einen letzten Dreh noch in diesem Jahr machen. Geplant ist Ende Oktober oder Anfang November. Dieses Mal besser ausgestattet und mit einem kleinen Budget.
Bis dahin werde ich den Sommer lang über den bereits gesammelten 25 Stunden Material sitzen und mit einem Rohschnitt beginnen.
Der Arbeitstitel
“Warum ist der Himmel blau?” fungiert als Arbeitstitel und basiert auf einer Situation, die im Film enstand. Mein Großvater behauptet immer entschlossen, er könne doch noch etwas sehen. In der Tat erkennt er Schatten und Licht mit einem Auge, also spielten wir das Erraten vom Farben. Ich fragte ihn, was für eine Farbe eine knallrote Blume habe, er antwortete: “Grün!” Ich fragte, welche Farbe nun eine lilafarbene Blume habe, er sagte: “Gelb!” Und so versuchten wir es mehrere Male. Da er keine einzige Farbe erraten konnte, fragte ich ihn, welche Farbe nun der Himmel habe, worauf er voller Stolz antwortete: “Der Himmel? Blau, das sieht doch jeder!”