8. Filmfest Schleswig-Holstein Augenweide

Landschaft der Langeweile

Landschaft (Sergei Loznitsa, D 2003)

Eine einzige Kamerafahrt bzw. -schwenk über 60 Minuten, die Schnitte getarnt durch nahe vor dem Objektiv vorbeiziehende Laternenmasten oder Häuserecken – Sergei Loznitsas Studie mit dem lakonischen Titel „Landschaft“ (gefördert von der Kulturellen Filmförderung S.-H.) ist vor allem ein radikales filmisches Experiment. Loznitsa lässt die Kamera über Bushaltestellen in Russland streifen, fängt Fragmente von Alltagsgesprächen ein, die indem sie nichts bedeuten, ebensogut auch alles bedeuten können, vielleicht sogar einen Blick in die postkommunistische „russische Seele“. Ein Experiment, das, weil es so radikal ist, im Kino nur schwer erträglich ist.

„Landschaft“ ist mehr eine Installation als ein Kinofilm, eher geeignet für den für einige Minuten verweilenden Blick eines Ausstellungsbesuchers als für das arg strapazierte Sitzfleisch von auf ihren Stühlen festgenagelten Kinogängern. Denn das ohne Zweifel avantgardistische und das Medium selbstreferentiell hinterfragende Konzept des Films hat der Zuschauer nach spätestens 10 Minuten begriffen, kann es in solchem Zeitrahmen auch goutieren. Doch 60 Minuten reizen die Langeweile bis zur Schmerzgrenze.

Vielleicht auch, weil der Film nicht wirklich (dokumentarisch) erzählt, sondern im Auffangen der Stimmen vielfach aleatorisch bleibt. Warum sind diese Pelzmützenträger im Film, jene aber nicht? Was sagt das beiläufige Parlieren über Gott, die Welt und aktuelle Marktpreise an einer Bushaltestelle mehr aus als dass der Kommunikationsort Bushaltestelle ein beiläufiger ist, an dem – wie schon gesagt – alles wie nichts gesagt wird?

Freilich – als Betrachter von Kunst, und das ist „Landschaft“ ganz gewiss, ist es nicht minder beiläufig und alles genausogut wie nichts sagend, sich auf mangelnde Kurzweil zu berufen. Und dennoch darf man fragen, ob der Film nicht auch in 20 Minuten genau das bewirkt hätte, was er bewirkt, nämlich die Langeweile als einen Ort des Kontemplativen nutzbar zu machen. So bleibt der Ärger des Ungeduldigen, der auf das Ende des Films so sehnsüchtig wartet wie seine Protagonisten auf den Bus, der sie an einen Zielort bringt, der möglicherweise viel weniger das Ziel ist als der Weg dorthin oder – radikaler – das Warten auf diesen Weg. (jm)

Buch, Regie: Sergei Loznitsa, 2003, 60 Min., 35mm

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