8. Filmfest Schleswig-Holstein Augenweide
Die Schäfchenfrage
Ein Rückblick auf das 8. Filmfest Schleswig-Holstein Augenweide
Auf dem Faltblatt zum “8. Filmfest Schleswig-Holstein”, der offiziell so genannten “Augenweide” stehen schwarze Schäfchen in Reih und Glied und bilden ein Rechteck. Mittendrin, oben rechts, ein grüner Schriftzug: Augenweide. Was das bedeuten mag, fragte sich zur Eröffnung auch gleich Ministerin Ute Erdsiek-Rave. Was darin verschlüsselt sein mag, erschließt sich nicht so leicht, setzt aber die Fantasie in Gang – so wie es anregende Filme zu leisten vermögen.
Wirklich so viele Schafe? Zwar wirkten die Programme befriedigend besucht, die Moderation glücklich, der Austausch durch direkten Kneipenanschluss gewährleistet und die Bühne bei der Preisverleihung gut besetzt – nur die Preisträger fehlten: nicht vor Ort war Toke Hebbeln, der schleswig-holsteinische Hans-Hoch-Preisträger aus Itzehoe, dessen geschickt quälender “Er und Es” als bester Kurzfilm prämiert wurde; auch nicht Rainer Komers, der für seinen Dokumentarfilm “Nome Road System” mit seinen “elementar anmutenden Bildern aus Alaska” (Jurybegründung) geehrt wurde. Vielleicht haben Preise in Form von Software und einwöchiger Schnittplatzmiete zu wenig Reiz. Vielleicht aber gibt es auch, wie Ute Erdsiek-Rave spekulierte, “ganz wenig grüne Weide” für “ganz viele schwarze Lämmer”. Dreh- und Produktionsorte vieler Filme des Festivals ließen wirklich daran zweifeln, ob hier eine Leistungsschau des schleswig-holsteinischen Films gezeigt wurde oder vielmehr, welche Leistungen möglich sind, wenn Filmemacher Schleswig-Holstein verlassen: Arbeiten von Filmstudenten in Dortmund, Berlin und Ludwigsburg – mit lockeren Beziehungen zur Heimat über Förderverbünde.
Oder spricht das Faltblatt-Schäfchenkarree für Bündelung und Zäunung, um mit dem Medienstandort Schleswig-Holstein in die Bundesliga aufzusteigen? Danach klang der “Traum” von ULR-Direktor Gernot Schumann in seinem Grußwort an den Verein Kulturelle Filmförderung S.-H., namentlich Geschäftsführer Bernd-Günther Nahm. Schumann wollte “träumen dürfen”: von einer Zusammenlegung der hiesigen Förderungen, der kulturellen kleinen und der wirtschaftlichen großen Förderung. Nahm zeigte sich von dieser Geschenkidee wenig begeistert. Schließlich sei die MSH, die finanziell gut ausgestattete wirtschaftliche Förderinstitution im Lande, vor allem eine Fernsehförderung. “Eine Zusammenlegung wäre dasselbe, als würde man in der Landwirtschaft nur noch Rapsbauern fördern – gerade die Vielfalt ist aber die Stärke, die wir im Land haben.” Auch nach acht “Augenweiden” und 15 Jahren Kulturelle Filmförderung (mit 242 Produktionen) hat das Land sein filmpolitisches Selbstverständnis offenbar nicht geklärt.
Die uniforme Blick-Ausrichtung der Schäfchen-Kompanie im Augenweiden-Faltblatt täuscht in mehrerer Hinsicht: Weder die Verantwortlichen noch die Kurz- und Dokumentarfilme haben ein gemeinsames Ziel vor Augen. Sie zeigen hoch entwickelten Eigensinn, genaue Blicke, Liebe zum besonderen Detail (“Ich und das Universum”). Zudem präsentierte Tereza Porybna vom Prager “International Human Rights Film Festival” Dokumentarfilme, die den Blick spürbar politisierten: Der israelische Beitrag “Detail” dokumentiert direkt und unpolemisch alltägliches Leid palästinensischer Familien, die von israelischen Patrouillenfahrzeugen kontrolliert werden. Gegen solche Dokumentarfilme wirken viele einheimische Experimente fast verspielt: Sie erfinden eine Welt, in der alles rückwärts geht (“Nie solo sein”), zupfen listige Zirkelschlüsse über die Lüge der Entlarvung der Lüge (“Das glückliche Ende des Fernsehens”) und reflektieren so artistisch den Vertrauensverlust in die Bilder und Wirklichkeiten, dass manchmal der Boden abhanden kommt. Aber die Schäfchen auf dem Faltblatt haben auch keinen Untergrund. Die Linien muss man sich im Kopf dazu denken. Wie es die Kultusministerin Erdsiek-Rave vorgeschlagen haben könnte. (Gerald Koll)