Nachruf Dirk Reinartz
Wer Dirk Reinartz kannte, der wusste um den ihm eigenen Humor. Bei einem Vortrag zu seiner Arbeit nannte ich ihn einen naiven Künstler, nur um die Überraschung in seinem Gesicht inmitten des Auditoriums genießen zu dürfen. Natürlich wartete ich einen Augenblick, bis ich den Fall aufklärte und auf Schillers berühmte Unterscheidung zwischen einem naiven und einem sentimentalen Künstler kam. Tatsächlich trifft kaum etwas mehr den Charakter dieses Menschen und Fotografen. Der naive Künstler ist einer, der einem Süchtigen gleich mit unfehlbarer Intuition sein Werk schafft. Der Sentimentale hingegen gleicht dem Theoretiker, der aus der problematischen Überlegung heraus ein Konzept in eine Form bringt. Nun ist der Moment, da die Melancholie der Reflektion auch diesen Riesen trifft.
Allerdings waren die Arbeiten von Dirk Reinartz mehr als nur Handwerk oder „glückliches Händchen“. Ihre Sinnlichkeit traf sich wieder in der strengen Analyse der Wirklichkeit. Einem seiner großen Vorbilder, August Sander, gleich, wurde seine Kunst gerade deshalb zu Kunst, weil sie radikal „ganz kunstlos“ die Objektivität der Welt abbildete und ihr eine Form gab: eine liebende Aneignung. Jene Brücke zwischen strengem Kalkül und sinnlicher Unmittelbarkeit, die dieses Werk kennzeichnet, war zugleich die Achse dieses Menschen. Das alles ohne jedes falsches Pathos, durch nicht nachlassende Heiterkeit gebrochenen Ernstes. Dirk Reinartz ging es immer um die Welt. Er lehrte uns, sie gerade dort wo sie normal, einfach, fast nüchtern ist, als Paradies zu sehen. Seine Lehre, seine Fotografien sind ein solcher Blick in die Alltäglichkeit jenseits fotografischer Extremitäten, die für ihn einen Verrat der Welt an leere Kunstmanierismen darstellten.
Er selbst wusste die Umstände seines Lebens, die Tatsache welches Glück ihm der Normalfall unserer Kultur bescherte , mit allen Sinnen zu genießen. Auch diese Lebenshaltung war für alle, die ihm begegneten eine Lehre nicht weniger als sein Werk.
Dirk Reinartz ist am 3. April in Berlin trotz mancher Beschwerden ganz überraschend und fast im Augenblick gestorben. Man fragt sich, ob es nicht das Höchste sei, auf einer solchen Höhe des Lebens, Wirkens und Schaffens zu sterben. Wenigen ist dies vergönnt.
Totenstill.
Norbert Schmitz für die Studentinnen und Studenten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Kolleginnen und Kollegen, das Rektorat und alle Freundinnen und Freunde der Muthesius-Hochschule