54. Internationale Filmfestspiele Berlin
Streik hautnah
Harlan County (Barbara Kopple, USA 1976)
Auch nach bald 30 Jahren hat Barbara Kopples Dokumentarfilm nichts von seiner Spannung, seiner Authentizität und Brisanz verloren. Drei Jahre, von 1973 bis 1976, arbeitete Kopple mit ihrem Team an dem Film über den Arbeitskampf der Kohlegrubenarbeiter in Brookside, Harlan County, Kentucky.
Die Kumpels streikten dreizehn Monate, um den Minenbesitzern den ersten Tarifvertrag in der Geschichte des Kohlebergbaus in ihrem County abzuringen. Dabei mussten sich die Kumpels nicht nur gegen die Besitzer und Aktionäre durchsetzen, sondern auch gegen bewaffnete Streikbrecher und Provokateure sowie nicht zuletzt gegen eine korrupte Gewerkschaftsführung.
Ursprünglich wollte Kopple nur die „Miners of Democracy“-Kampagne dokumentieren. In der Gewerkschaftsbasis der UMW (United Mine Workers) hatte sich Widerstand gegen die korrupte Gewerkschaftsspitze formiert. Der Gewerkschaftsfunktionär Yoblonski wird wenige Tage nach einer Kampfansage an die Gewerkschaftsführung mitsamt Frau und Kindern im eigenen Haus hingerichtet. Doch das Team blieb nahezu drei Jahre, lebte lange Zeit unter den Kumpels und ihren Familien in Brookside.
So entstand ein Dokumentarfilm, der ganz dicht an den kämpfenden Arbeitern bleibt. Kopple bezieht Stellung, doch beschönigt sie nichts und bleibt neutral gegenüber den Streikbrechern und Minenbesitzer. Der Film kommt ohne Kommentar aus. Kopple lässt die alten Kumpels und ihre Witwen die Geschichte des Kohlbergbaus erzählen, zeigt die unwürdigen Wohnverhältnisse, beleuchtet die stets drohende Gefahr von Lungenkrankheiten. Das Filmteam steht mit auf Streikposten, fährt mit in Grube und zur Aktionärsversammlung. Kopple beschönigt nicht, dass nach Monaten der Auseinandersetzungen die Kolonne der Streikbrecher länger und die Streikenden weniger werden. Auch wenn auf den Versammlungen um die sinkende Moral gerungen wird, bleibt die Kamera an.
Der Arbeitskampf verschärft sich, die ersten Schüsse fallen. Wochen später wird ein Arbeiter erschossen, die Kamera fängt das Bild des Mörders ein, er bleibt jedoch unbestraft. Macht und Ohnmacht des Mediums werden in diesen unfassbaren Bildern deutlich. (Daniel Krönke)