Vexierbilder und „blinde Flecke“

Die (Video-) Installation „Fading“ in der Kieler Stadtgalerie

„Wenn die Verstehbarkeit von Welt zerspringt … Eine nicht lineare Form von autonomer Kommunikation … Reproduktion als Iteration …“ – Satzfetzen, die in Schülerschrift auf den hölzernen Platten des schräg gestellten Quaders stehen, den die Kieler Architektin Natascha Bindzus und der Konzeptkünstler Holger Trülzsch wie einen Raumteiler ins Foyer der Stadtgalerie Kiel gesetzt haben. Die Schüler brüten über den komplexen philosophischen Texten und zeichnen sie Wort für Wort mit Bleistift auf das raue Bauholz der Fassade. Sie sind in dieser Performance zur Ausstellungseröffnung am 31. Oktober Teil eines Kunstwerks, das Bild- wie Bedeutungsschichten übereinander häuft und damit im besten Sinne des Wortes vielschichtig ist.

„Gegen einen totalisierten urbanen Code“ greift der Quader, Zentrum der multimedialen Installation „Fading … and it fades, fades, fades“ (unterstützt von der Kulturellen Filmförderung S.-H.), Raum inmitten des öffentlichen Raums Museum, das gleichzeitig einen Schutzraum für Kunst darstellt. Entlang der Hauptachse stehen sich zwei Video-Projektionen gegenüber. Die dem Ausstellungsraum zugewandte zeigt die Performance „Fading“, in der Bindzus und Trülzsch unter anderem die „Wunde Heine“ beleuchten, Heinrich Heine, der in „Deutschland, ein Wintermärchen“ vom Verschwinden der Heimat als Ort geschützter Kommunikation sang. Gegenüber, in Blickrichtung zur Stadt schichten sich die Videobilder zum geschäftigen Treiben, Kamerafahrten durch Kiel durchdringen sich mit weiteren Ausschnitten aus der Performance zu einem Vexierbild bewusster Verwirrung. Zwischen den Leinwänden im „Darkroom“ des Quaders, auf zwei janusköpfig angeordneten Bildschirmen sowohl Verbindungsglied als auch eine der Keimzellen von „Fading“: Holger Trülzschs „Psychotopografie“ der Stadt Marseilles. Vor 20 Jahren war er dort „auf der Spur der Situationisten“ mit einer Panoramakamera unterwegs, um ein imaginäres Bild des Stadtraums einzufangen. Nämliche Fotos zeigt auch eines der sechs Tableaus, die zum Museumsraum hin eine Flut von Postkartenbildern und montierten Ausrissen aus Werbematerial gleichsam protokollieren.

Die Installation, die sich – nur eines ihrer Themen – um das Verschwinden der Erfahrungsräume im städtischen Raum dreht, versammelt obsessiv Material, Bilder, Ikonen, deren Bedeutungen verschwinden, weil sie nicht mehr von kommunikativen Konventionen getragen werden. Der Sinn stiftende Mythos ist so tot wie Gott, „die Wirklichkeit zerspringt“ in Snapshots und „blinde Flecke“, so Trülzsch über seine Fotos und sein Zeitungsarchiv, das hinter den Tableaus verborgen ist, als „Medium der Vorzeit“ nur noch betrachtbar durch die Löcher im Bildschirmformat zwischen den Bildern der Tableaus. Die schmerzliche Lücke, die schon Heine beklagte, wird sichtbar, mitten und gerade im Grundrauschen der Bilder.

Die wiederum stemmen sich mit dem Eifer der minutiös sie Aufsammelnden gegen das Verschwinden. Das Wissen um das „Fading“ der Wahrnehmung macht es als produktiven Prozess erfahrbar, der ebenso verzweifelt wie wütend (De-) Montage-Kunst gegen ein sich entleerendes Leben stellt. Gänzlich verstehen kann und soll man „Fading“ nicht. Die beiden Künstler bieten Erahnbares an, nicht Gewusstes, Gefühl, nicht Geist. Denn letzterer ist ein Verschwindender, ein Vexierbild, ein „blinder Fleck“, durch den erst man wieder sehen kann. (jm)

Bis 4. Januar in der Stadtgalerie Kiel.

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