Nordische Filmtage Lübeck 2003

Herz über sein Herz

(Flashback, Let. 2002, 105 Min., Beta SP, Herz Frank)

Zu dokumentieren kann zur Sucht werden, vor allem wenn man sich selbst dokumentiert. Der lettische Dokumentarfilmer Herz Frank versammelt in „Flashback“ sein bisheriges Werk um es neu zu deuten und neu zusammenzusetzen. Anlass für diesen autobiografischen Versuch war eine Herzoperation, der sich Frank unterziehen musste. Sein Kameramann war dabei. Aber nicht nur deswegen erfahren wir viel über das Herz des Dokumentaristen.

Selbstporträt in Rückblende: Dokumentarfilmer Herz Frank

„Flashback“ hebt an mit Herz Franks Doku-Miniatur „10 Minutes Older“ aus dem Jahr 1978. Damals hatte er das Gesicht seines fünfjährigen Sohnes abgefilmt, während der einem Kasperletheater zusah, eine intime Studie des Wechselbades von Gefühlen in einem Take, ohne Schnitte. „Wir tauchten in die Tiefen der Seele“, sagte Frank damals über diesen Film, jetzt ist es seine eigene, der er auf der Spur ist. Und der Fortsetzungsgeschichte von „10 Minutes Older“. Nochmal hat er das Gesicht seines Sohnes gefilmt, in „20 Years Older“ und am Bridge-Tisch. Regungen der Spannung, des Zweifels, ein Spiel mit dem, was über Gesichter weht – und mehr als ein Dokumentarfilm. Wie auch „Flashback“ mehr als ein Dokument eines Filmer-Lebens, aufbewahrt in seinen Werken, ist.

„Ich wollte nie das Bild festhalten, höchstens im Angesicht des Todes“, sagt Frank über sein „opus magnum“, Dokumentarfilme zu machen sei „ein Spiel“, ein allerdings göttliches: „Vielleicht sind wir beim Abbilden des Lebens ein bisschen wie ein Gott, der sich ein Bildnis macht.“ Frank hat in seinem Schaffen, das hier in Ausschnitten resümmiert wird, von der blutigen Geburt eines Kindes über die Bürgerkriegsschießereien im nach-sowjetischen Riga bis hin zum Protokoll einer Exekution, nie etwas Unwirkliches zwischen die Wirklichkeit und sein Kameraobjektiv kommen lassen. Die Dokumentation war immer schonungslos. Und gerade dadurch voller Poesie. Als würde der Superrealismus vom Wirklichen fortführen in ein Transzendentes, das hinter den Bildern kauert wie hinter der Wirklichkeit.

Wo Herz den Vergleich zum Göttlichen des Bildermachens zieht, hat er gleichwohl das Gesetz Moses‘ im Auge, „du sollst dir kein Bildnis machen“. Er spricht aus dem Off vom „Sünder in mir, wenn ich anderer Leute Leben ablichte“. „Flashback“ leistet Abbitte für solche „Sünde“ und ist damit ein ungemein persönliches Dokument, das doch dem Kameramann, dem Frank das Werk eingangs widmet, das Tor öffnet weiter zu filmen, selbst wenn das ein so himmlisch-höllisches ist wie in das offene Herz des Regisseurs.

(jm)

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