Wenn die Bücher sich berücken
Gerald Grote und sein Team drehen an „Tödlichen Roman(z)en“
Man ist sich sicher: Für eine Alliteration würde Gerald Grote gerade gern aufs Ganze gehen. Und für jeden Wortwitz sowieso. In seiner Weste und den schnurstracks durch die Halle marschierenden Wanderschuhen sieht er aus wie Rüdiger Nehberg, der ohne Netz und Boden durch den Filmdschungel sträunt – und überlebt. „Sie gehen auf Buchfühlung“, ganz bewusster Verschreiber, steht im Storyboard für Szene 19 von „Tödliche Roman(z)e“, die der „Sprung-ins-kalte-Wasser“-Regisseur in einer Kieler Fabrikhalle abdreht. Es geht um Bücher und Bücher sind die Akteure in diesem Streifen, den die MSH als Innovationsprojekt fördert. In der gerade gedrehten Sequenz wird’s erotisch. „Mike Hammer“, eigentlich nur ein Krimi-Roman, hier aber ist er Akt-Akteur, beugt sich mit ziemlich eindeutig fleddernden Seiten über die pink bebuchdeckelten von „Madame Bovary“. Flaubert gewinnt Flügel – und breitet die Beine wie die Seiten.
Techtelmechtel „auf Buchfühlung“ (Set-Foto: Helmut Neumann)
Am Set wird Trickfilm produziert, tricky. Fünf-Sekunden-Takes des „Stellungskriegs“ im weißen Himmelbett der beiden Romane, die später überblendet werden. Kameramann Claus Oppermann, der, so Grote, „mit dem Guten nicht zufrieden ist, sondern wie das ganze Team das Beste will“, bringt die Szene auf den Punkt: „Steiler wird’s geiler.“ Am Set ist er bekannt als ebenso minutiöser Blendenzieher wie Kalauerproduzent. 35-mm-Farbfilm surrt nach erneutem Buchrücken-Rücken durch die Arriflex, im Fünf-Sekunden-Takt des verschärften Schäferstündchens, das hier Stellung für Stellung beiweitem kühler als später im Schnitt gedreht wird. Die Stimmung ist dabei so entspannt wie die Bücher sich mit unsichtbaren Holzklötzchen im Hintergrund aneinander berücken. „Wir drehen!“ Und schon dreht sich das Büchlein wie sein Inhalt, um verschmitzt zu grinsen.
„Die etwas andere Romanverfilmung“, die hier entsteht, ist „ein Animationsfilm ohne Animation“. Die Akteure, Bücher, stehen still, die Kamera bewegt sich. Einen ganzen Dachboden hat man installiert, inklusive Dolly, der zwischendurch kaputt ging; die Ziegel: Leihgaben; durch die Dachfenster weht blaues Licht; im Regal lauern die Buchrücken von „Felix Krull“ bis „Fury“, die noch auf Aktion warten. Und aus dem Regal wird ein krimi-spannender Sturz erfolgen. In Zeitlupe, für die der Kinetikkünstler Eberhard Möller eigens eine Buchfallmaschine erfunden hat. Am Ende steht der Tod wie eine neue Verwicklung – oder ein Umblättern. Denn eine halbe Halle weiter werkelt Bühnenbildnerin Nina Horstmeier mit lautstarker Stichsäge bereits an der Kulisse „Stadt-Silhouette der Bücher“.
Seit vier Tagen drehen die Bücherwürmer an dem, was später mal ein Kurzfilm über den Wortwitz der Bücher werden wird. Gerald Grote gibt sich als unaufdringlicher Ideengeber, der weniger als Regisseur denn als Anmerkungseinstreuer eingreift. „Die haben viel mehr Erfahrung als ich“, sagt er über sein Team, weiß aber genau, was das leistet: „Ein Meter Film kostet zwei Euro, wir haben hier alle Schwierigkeitsgrade des Werbefilms, wie wenn wir gleich 25 Vorschläge für eine Kampagne für das Buch drehen würden.“
Wer Kosten scheuen muss, darf die der Mühen nicht scheuen. Kamerafex Oppermann schaut durch den Sucher. Sein Assistent und Klappenschieber weiß mit Weißabgleich, dass auf dem Video-Monitor der Arriflex nur ein schales Abbild dessen erscheint, was wir einst auf der Kinoleinwand sehen werden: Um die 20 Minuten Film, der etwas in sich hat, das die Bücher noch verstohlen über ihre Seiten deckeln. (jm)