Der Wert einer Cutterin

„Schnitt – Der Regisseur und die Cutterin“ von Sara Fruchtmann und Konstanze Radziwill hat Premiere

Eberhard Fechner zählt nicht nur unter Kennern zu der Handvoll von Dokumentarfilmern, die wie Monolithe in der deutschen Fernsehgeschichte der letzten 30 Jahre dastehen. Doch sein Renommee verdeckte nicht selten, welchen großen Anteil seine langjährige Cutterin Brigitte Kirsche am Gelingen von Filmen wie „Damenstift“, „Comedian Harmonists“ oder „Der Prozess“ hatte.

Sara Fruchtmann und Konstanze Radziwill lassen in ihrem Film „Schnitt – Der Regisseur und die Cutterin“ immer als aller erste Brigitte Kirsche zu Wort kommen, wenn es darum geht zu erzählen und zu zeigen, was das besondere an Film- bzw. Montagestil von Fechner und ihr war. Sie belegen, dass es ohne die Cutterin Kirsche den erfolgreichen Dokumentar-Erzähler Fechner so nicht gegeben hätte.

Die Methode (heute muss man ja schon sagen: „Schule“), durch Gesprächsrekonstruktionen, bei denen die einzelnen Interviews so geschickt in- und zueinander montiert, ja verwoben werden und der Interviewer ganz in den Hintergrund tritt, dass sich dadurch ein lebendiger Erzählfluss entwickeln kann, „erfand“ maßgeblich Frau Kirsche beim Schnitt zu Fechners Erstling „Nachrede auf Klara Heydebreck“ (1969) mit. Aus der Not heraus, aus dem auf den ersten Blick nur bedingt aussagefähigen Rohmaterial das Leben einer Selbstmörderin zu rekonstruieren, entwickelt sie mit Fechner eine Montage, die Berichte der Bekannten und Nachbarn aus ihren verschiedenen Perspektiven zu einer Geschichte verschmolz. „Kopf an Kopf“ und „Hals-Nasen-Ohren-Filme wurden sie genannt“, lacht Kirsche. Aber es funktionierte. Das scheinbar unwichtige Schicksal der toten Protagonistin gewann an Bedeutung. Es entstand kein Feature über Selbstmord, sondern ein gehaltvoller, nüchterner Film über Leben und Sterben einer alten Frau, der darüber hinaus eine allgemeine Aussage über das Alter in unser Gesellschaft macht. Immer wieder gelingt es Fechner in den folgenden Filmen mit Hilfe der Darstellung von individuellen Schicksalen zeitgeschichtliche Bestandsaufnahmen zu liefern.

Cutterin Brigitte Kirsche

Brigitte Kirsche erzählt unter Zuhilfenahme von Filmausschnitten, wie es zu „Nachrede auf Klara Heydebreck“ kam, welche Schwierigkeiten sich beim Schnitt einstellten und wie man die Lösung fand. Weitere Filme, wie „Commedian Harmonists“ und „Der Prozess“ (über das Maidanek-Verfahren) werden mit ihrer Produktionsgeschichte behandelt. Natürlich kommt auch der verstorbene Fechner in Archivaufnahmen zu Wort. Ehemaliger Kameramann, Tonmann, aber auch Dieter Wedel, Horst Königsstein und vor allem Heinrich Breloer „erzählen mit“ und geben ihre Einschätzungen ab. Urteile wie „Poesie“ und „magischer Realismus“ fallen. Die beiden Filmemacherinnen Fruchtmann und Radziwill zeigen sich als gelehrige „Schülerinnen“, die die Methode von Fechner und Kirsche kongenial für ihre Montage benutzen.

Dem Film gelingt eine sehenswerte Hommage an Fechner und Kirsche. En passant bringt er beide Protagonisten auch in ihren Charakteren ein wenig näher. Beide schrieben miteinander nicht nur ein Stück Fernseh-, sondern auch Dokumentarfilmgeschichte, Geschichte im 20. Jahrhundert von unten erzählt. (hsch)

„Schnitt – Der Regisseur und die Cutterin“, D 2003, Digi Beta, 44 Min. Buch und Regie: Sara Fruchtmann und Konstanze Radziwill. Kamera: Alexandra Kordes. Schnitt: Inken Gudewer. Produktion: Radziwill-Fruchtmann Filmproduktion. Gefördert von Bremer Innovations-Agentur GmbH, Kultureller Filmförderung Mecklenburg-Vorpommern, Kultureller Filmförderung Schleswig-Holstein, Filmbüro Bremen e.V.

Premiere am 6. Oktober 2003 im Kieler KoKi in der Pumpe. Im Anschluss an die Premiere wird Eberhard Fechners „Nachrede auf Klara Heydebreck“ gezeigt (eine Veranstaltung von KoKi und Kultureller Filmförderung S.-H.).

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