JazzBaltica 2003:
Stelldichein von Ray Browns Erben
Ray Brown Tribute
Zweifellos, die Bassisten, sonst treue Rhythmusgruppenmuskelmänner im Hintergrund, sind am Samstagnachmittag bei Jazz Baltica die Stars, wo man Ray Brown, dem großen alten Mann des Bass, der im letzten Jahr überraschend verstarb, huldigt. „Brown was a mentor to us all“, betont Christian McBride und steigt mit Niels-Henning Ørsted-Pedersen, Ray Browns Nachfolger im Oscar Petersen Trio, in den Bassboxring. Im Sparring fliegen zwar nicht die Fäuste, sondern eher tauscht man Staffelstäbe, aber doch liegt ein wettbewerbendes „Aber ich kann schneller als du“ in der Luft, wenn die Bässe in einen witzig-ironischen Dialog treten. NHØP ist dabei der Besonnenere, Gediegenere, während McBride seinen Bass mit gitarresker Verve und manchem Elektro-Effekt schnurren lässt – manchmal wie einen eiligen Motor, manchmal süßlich wie ein Kätzchen.
Wer die Führung hat, blieb auch kurz zuvor im Duo von NHØP mit Gitarrist Ulf Wakenius bewusst in der Schwebe. Wakenius und Pedersen teilen den Hang zu einer gewissen Versonnenheit. In einer zauberhaft weichen Ballade werfen sich die Saitenmänner Themen zu wie Wattebäusche, wer ihn gerade hat, spinnt weiter am Kokon und Bass und Gitarre erscheinen nicht mehr wie gemütlich „walkender“ Begleiter und solistischer Spurter, sondern als zwei Seiten ein und derselben Medaille. Ob vier oder fünf Saiten, als Solisten unterscheiden sie sich allenfalls wie Tiger und Panther, Raubkatzen beide, eine sprunggewaltig, die andere ein Laufkünstler.
NHØP erzählt eine Anekdote. Brown habe ihm mal seinen Bass geliehen, als das eigene Instrument indisponiert war. NHØP habe losgelegt und Brown habe ihn später beiseite genommen und ihm ins Ohr gezischt: „Those things – not on my bass!“ Die Erben sind eben ein bisschen übermütiger als ihre Altväter. So auch in der folgenden Session, wo der Trompeter Jon Faddis, Schlagwerker Alvin Queen, Benny Green am Piano und Saxofon-Freestyle-Artist Michael Brecker zu den Viel-Saitern treten. Mit einem tempomäßig angefixten „So What“ wird ein Rennen nachhause gebracht, das Mr. Brown wohl eine Nummer zu funky gewesen wäre. Dem Bop ist solche nervöse Bewegungslust freilich eh eigen – so what? Und dass man auch die ruhigere Gangart des Tributierten verinnerlicht hat, zeigt gleich darauf ein impressiv mildes „Body And Soul“. Einzig Faddis stichelt hier gegen den warmen Grundton mit den spitzen Terrierbissen seiner an Miles Davis geschulten Trompete und stachelt auch Breckers skizzenhaft durchmodelliertes Spiel, das auf seinen Line-Art-Zeichnungen sonst nicht einen Strich zu viel kennt, zu pittoresken Ausbrüchen an. Die – auch schon nur noch ehemals – „young Lions“ locken hier noch einmal gegen den Stachel, um im entfesselten Uptempo einer Funk-Nummer den Nachmittag zu beschließen.
Zu Brecker und McBride gesellen sich am Abend Antonio Sanchez‘ hitzewallende Drums und – sozusagen als „Earth-Link“ – Pat Metheneys elegant relaxte Gitarre. Metheny, neben Dave Holland der zweite „Artist in Residence“ bei der 13. Jazz Baltica, steht mit seiner divenhaft säuselnden Saitenakrobatik während des gesamten Festivals für Lyrisches. Als wäre er sich bewusst, ein Klassiker zu sein, holt er die Stürmer und Dränger immer wieder zurück auf den Boden der Tatsachen – der Goethe im Quartett. Quirlendem Funk, dieser schillernden Fusion-Masche, die zuweilen eine bloße Laufmasche ist, setzt er eine Geschwindigkeit entgegen, die eigentlich der Langsamkeit verpflichtet ist. Wo die Kollegen Feuer und Luft sind, verkörpert Metheney Erde und Wasser. Also durchaus etwas „Fluides“, das in seiner überbordenden Luzidität manchem zu weit in Richtung Öligkeit geht, die jeden Sand im Getriebe wegschwemmt. Dennoch, Metheney ist, steht er einmal auf der Bühne, das beinahe diktatorische Zentrum – selbst unter Sidemen mit nicht geringer großen Namen. (jm)