Loops der Unendlichkeit
Kai Zimmers Kurzfilm “Transformers” fertig geschnitten.
“Transformers” nennt der Ex-Kieler, jetzt Berliner Video-Künstler Kai Zimmer seinen 6-minütigen Kurzfilm, den er Anfang August mit Unterstützung der Kulturellen Filmförderung S.-H. in der Kieler Filmwerkstatt fertig geschnitten hat. Wie in seinem letzten experimentellen Kurzfilm “Transitions” verwendet Zimmer auch hier ausschließlich “found footage” Material aus Spielfilmen: Acht Schauspieler – Robert Mitchum, Edward G. Robinson, James Stewart, Jean Gabin, Marcello Mastroianni, Burt Lancaster, Henry Fonda und Spencer Tracy – jeweils in Szenen des abwartenden Aufschauens, dort wo die Handlung kurz stockt, um die Spannung auf das Folgende zu steigern. Wie in “Transitions” sind es Szenen, die im “Dazwischen” liegen, der Kitt an Nahtstellen von Filmgeschichten, den Zimmers Skalpell aus den Schnittfugen polkt.
Auch auf seine Foto-Installation “Electronic Portraits, digitally mastered – EP/DM”, die er im März/April im Künstlerhaus Lauenburg zeigte, nimmt “Transformers” Bezug. Wieder sind es Porträteinstellungen von Schauspielern, die “schon tot” und dadurch noch mehr als zu Lebzeiten in mythische Unsterblichkeit entrückt sind. Doch diesmal widmet sich Zimmer nicht den einzelnen Porträts, sondern reiht sie in chronologischer Folge und zeigt so in den Sequenzen für jede Hollywood-Ikone das Altern des Filmgesichts, die “Transformation” durch Zeit. Man sieht zum Beispiel James Stewart von Szene zu Szene aus unterschiedlichen Filmen ergrauen oder Jean Gabin faltiger werdend. Und man sieht sie wartend, auf eine Antwort, auf den nächsten dramatischen Moment – nicht zuletzt auf den Tod.
Abwartend dramatischer Moment mit James Stewart
Die Zahl Acht hat dabei eine fast zahlenmystische Bedeutung. Nicht nur, dass Zimmer jeweils acht Szenen aus insgesamt fast 220 Stunden Material ausgewählt hat, die pro Schauspieler eine Sequenz ergeben. Er reiht die acht Sequenzen wiederum zu acht Loops unterschiedlicher Dauer. Die Szenen in voller Länge sehen wir zum Schluss des Kurzfilms, vorher flackern sie im rasenden Zeitraffertempo von zwei, vier, acht … Einzelbildern pro Sekunde über den Monitor, den Zimmer in gewohnter Verfremdungsmanier nochmals mit der Videokamera abfilmt.
Zu Beginn ein Gewitter von “Snapshots”, wird das Tempo des Films somit immer ruhiger, scheint die Zeit immer langsamer, asymptotisch auf den letzten, unendlichen Moment des Todes hin zu laufen, bis am Ende (als Klammer auch am Anfang) ein vergrößerter Mund aus dem Film “The Wizard of Oz” die bedeutungsschwangeren Worte “There is no place like home” flüstert. Dechiffrierbar ist das freilich nur aus den Lippenbewegungen, denn der Soundtrack der “Transformers” ist stumm, abgesehen vom Schnitt-Klicken und in den Loops rhythmisch werdendem Rauschen der gesampelten Filmsequenzen, wenn die Darsteller im zuwartenden Augenblick schweigen.
Acht mal Acht mal Acht macht 512, genau so viele Schnitte enthält Kai Zimmers Experimentalfilm. Geradezu manisch wirkt diese Zahlenfolge, ist aber ebenfalls symbolisch aufgeladen. Nur dem aufmerksamsten Betrachter wird sich erschließen, dass Zimmer die Loops periodisch rückwärts laufen lässt, dass sich die Zeit in jeder zweiten Sequenz vom Sterben zum Debüt des jeweiligen Schauspielers bewegt. Das darf man als Reflex auf das Medium (wie in fast allen Arbeiten Zimmers) ebenso begreifen wie als erneut überstrukturierte Bezugnahme auf das von den Romantikern gerne bemühte Symbol der liegenden Acht, die für Unendlichkeit steht. Auf- und Abschwung der Zeit wie des Lebens, der Existenz überhaupt, bilden dieses Zeichen im Vorwärts und Rückwärts des zeitgerafften Lebenslaufs (nicht nur) auf Leinwänden, der somit zyklisch wird. Der Anfang kennt sein Ende, dem Ende ist sein Anfang immer schon einbeschrieben.
“Transformers” ist damit eine mathematisch, wenn nicht philosophisch kühl reduzierte Formel, doch auch eine romantische Elegie auf das geloopte (Film-Er-) Leben, angeregt von Zimmers intensiver Beschäftigung mit Novalis’ Roman “Heinrich von Ofterdingen” – und dazu mit der romantischen Wiedergeburtserwartung, die Hollywood wiederholt filmbildwirksam in Szene gesetzt hat. (jm)