JazzBaltica 2003:
Der Bass als Erzähler
Dave Holland lieh dem Jazz Baltica-Motto “Strings’n’Bass” die Worte.
Ein Mann, ein Bass und dieses “Es war einmal”. Aus diesem Dreiklang macht Basslegende Dave Holland ein Märchen aus tausend und einem Bass. Mit “Homecoming” gibt er gleich zu Beginn eine Visitenkarte ab, die das Publikum in der Salzauer Konzertscheune zu jener andächtigen Lauschruhe veranlasst, in der man die berühmte Stecknadel fallen hört.
Hollands Bass macht nicht nur Musik, er erzählt vor allem Geschichten. Und als Märchenerzähler weiß der Bassist ebenso wohlig einzulullen, wie er mit pulsierenden Tiefbass auf der E-Saite herzschlagend aus Träumereien aufweckt, ein “Three Step Dance”, der es in sich hat. “The whirling Derwish” ist im Diskant, der auf dem Bass immer ein bisschen weibisch klingt, dennoch männlich, indem er dem Tune archaische Jagdinstinkte einwebt.
Holland packt den Groove dort, wo er entsteht, nicht unbedingt an der Zupfhand, die macht den Rhythmus, sondern am Hals des Basses, wo die Finger ins melodische “basso parlando” geraten, gelenkig und mit der Entspanntheit eines Smalltalks. In dem kommt es bekanntlich weniger darauf an, was man redet, sondern dass man redet. Leichtigkeit ist hier Trumpf. Die gelingt Dave Holland in den hurtigen Hürdenläufen über vier Saiten, die hier die Jazzwelt bedeuten, ebenso elegant wie im gravitätischen Schreiten des Blues.
Ob Charles Mingus, Ornette Coleman oder der große Alte des Bass’, Ray Brown, der diesem Samstagnachmittag die Inspiration leiht, die Stichwortgeber eines beseelten Swings sind – Holland zollt solchen Altvätern Tribut. Doch da er längst selber einer ist, ist das mehr als eine Nacherzählung. All die Märchen, die Dave Holland und sein Bass erzählen, sind bekannt, wurden aber so noch nicht gehört. Sein differenziertes Spiel mit dem Tempo ist im Wortsinne “unerhört”, selbst im “back to the Songbook”, das der Meister neu schreibt, weil er es ins “Holländische” übersetzt.
Die Riffs drängen voran, als gelte es, das Rad der Jazzgeschichte(n) neu zu erfinden. Dave Hollands Geschichtsschreibung wird damit bei Jazz Baltica ein neues Kapitel hinzugefügt. Generationen nach ihm werden es nachsingen. (Gudrun Lübker-Suhre)