Idyll des ziellosen Stillstands

Das Kieler Trauma-Kino zeigt Ulrich Köhlers preisgekrönten Film „Bungalow“.

Dass der Weg das Ziel sei, ist eine alte Weisheit, für den jungen Paul (Lennie Burmeister, „Best Actor“-Preis beim Buenos Aires Filmfestival 2002) ist er eher die Ziellosigkeit. Unerlaubt entfernt sich Paul am Beginn von Ulrich Köhlers Film „Bungalow“ von der Truppe. Bei der Rückkehr aus einem Manöver bleibt er an einer Raststätte zurück und macht sich auf zum elterlichen Bungalow in der oberhessischen Provinz. Ein Freiraum des Müßiggangs, denn die Eltern sind im Urlaub. Nur die Ankunft von Pauls Bruder Max (David Striesow) und seiner dänischen Freundin Lene (Trine Dyrholm) stört das Idyll der selbst gewählten Langeweile. Max versucht Paul zur Rückkehr in die Kaserne zu bewegen. Als die Feldjäger kommen, deckt er jedoch den jüngeren Bruder. Der verliebt sich in Lene, aber auch das nur halbherzig, denn Lene weist ihn freundlich aber bestimmt ab. Auch nach 84 Minuten elegischer Sommertristesse bleibt Paul weiter auf der Flucht, vor den Feldjägern – und vor sich selbst.

Freiraum ziellosen Müßiggangs – Lennie Burmeister

Bei der Berlinale 2002 hatte Ulrich Köhlers (geb. 1969) Langfilm-Debut Premiere in der Sektion Panorama. Erst im Februar diesen Jahres, inzwischen dekoriert mit zahlreichen Auszeichnungen (u.a. bester Film beim Filmkunstfest Schwerin 2002, Hessischer Filmpreis 2002, „Best First Feature Award“ San Francisco 2003), kam er in die (Programm-) Kinos und ist vom 26. bis zum 28. Mai, jeweils 20 Uhr, im Kieler Trauma-Kino zu sehen.

Köhler beweist mit seinem Film Mut. Nicht nur dass der Streifen sich in fast allen Einstellungen eine Ruhe gönnt, die so beklemmend stickig ist wie der Hochsommer über und um den Bungalow, der in aristotelischer Strenge die Einheit von Zeit und Raum der Handlung darstellt. Nicht nur das gänzliche Fehlen von Filmmusik. Dem Dreh lag auch kein Storyboard zugrunde, die Szenen wurden erst während der Dreharbeiten vom Kameramann Patrick Orth aufgelöst.

Daraus entsteht eine quasi-dokumentarische Authentizität, eine Zurückhaltung und Nichteinmischung des Beobachtens, die auf der formalen Ebene den inneren Zustand des Protagonisten Paul spiegelt. Entsprechend knapp sind die Dialoge. Man hat sich wenig zu sagen, weil es wenig zu sagen gibt. Bezeichnend dafür ist eine Szene, in der Lene im Liegestuhl am Swimmingpool ein Science-Fiction-Drehbuch liest. „How are the people in the future?“ presst sich Paul ab und Lene antwortet karg: „More or less like today.“

No future! Geschichte wird nicht mehr gemacht, sie ist zum Stillstand gekommen. Oder dreht sich in den beinahe schon grotesk anmutenden Kreisen, in denen sich der Jeep der Feldjäger vom Horizont weiter Felder aus dem Bungalow nähert, um Paul „zuzuführen“, dann aber wieder unverrichteter Dinge abfährt. Es passiert nichts mehr, auch nicht in den Herzen der Figuren, deren Leidenschaften so ausgebremst erscheinen, dass man sich fragt, wie man daraus noch eine Filmerzählung stricken kann.

Ulrich Köhler gelingt das dennoch, indem er der Langeweile und Perspektivlosigkeit moderner Jugend (auch Lene ist so eine Figur – ihre Hoffnung auf eine Nebenrolle in einem Film im Film zerschlägt sich im Handy-Anruf von der Agentur) minutiös seziert. Ein wertender Blick, eine Stellungnahme des Erzählers verbietet sich da ebenfalls von selbst. Ulrich Köhler dazu in einem Interview: „Eine Figur muss schlüssig sein, ich muss als Autor meine Figuren verstehen. Aber wenn ich anfange eine Figur zu erklären, dann laufe ich zwangsläufig Gefahr die Komplexität der Welt unzulässig zu vereinfachen.“

Zielscheibe für „No future“ – Lennie Burmeister

So dümpelt der Film, teilt sich als zähes Rinnsal unmittelbar mit, als ein Lebensgefühl vom Nicht-Leben. Ein Hauch von Dogma liegt dabei über der Szenerie, das Erzählen als solches hinterfragend und letztlich bezweifelnd als ein Unternehmen, das gestern war. Pauls Flucht in einem Tankwagen, der in der Schluss-Totalen lonely-Cowboy-mäßig dem Horizont zustrebt, wirkt dabei wie ein Zitat verblasener Filmgeschichte(n), in deren Traditionslinie der Regisseur seine Erzählung eines Stillstands allenfalls noch ironisierend stellen mag.

„Bungalow“, D 2002, 84 Min., 35 mm. Regie: Ulrich Köhler, Buch: Ulrich Köhler, Henrike Goetz, Kamera: Patrick Orth, Schnitt: Gergana Voigt. 26.-28.5., 20 Uhr, Trauma-Kino Kiel.

(jm)

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