Perspektiven junger deutscher Filme: Reden, quasseln oder hingabevoll schweigen – Eine kleine Polemik

Schaut man sich Filme der jungen deutschen Filmemacher an, so entdeckt man sofort, für welches Medium diese Filme gemacht zu sein scheinen (und meist auch in wesentlichen Teilen finanziert werden): nicht für die Leinwand, sondern für’s Fernsehen. Einer der Macher hat das auch ganz unumwunden zugegeben, Christian Petzold über seinen neuen Film „Wolfsburg“. Überall hochgelobt für diesen wurde er in einem Zeitungsinterview zur Berlinale gefragt, warum dieser Film nicht im Wettbewerb, sondern „bloß“ in der Sektion „Panorama“ laufe. Weil es „ein 20.15 Uhr-Film“ sei, hat er geantwortet und sich so ganz in die Tradition des klassischen Fernsehspiels der öffentlich rechtlichen Fernsehanstalten gestellt, das es ja heute eigentlich gar nicht mehr gibt.

Nun, was zeichnet diese Filme aus? Zum einen die bundesrepublikanische Alltagsnähe, meist geschieht nichts Außergewöhnliches, geschweige denn Sensationelles, alles kommt eher im einem nüchternen Graugrau daher. Dann wird oft viel geredet, beinahe schon gequasselt und wenn nicht geredet wird, dann wird mit einer Hingabe geschwiegen, die schon wieder Bände zu sprechen scheint, wie zumeist in Petzolds Filmen, natürlich auch in „Wolfsburg“. Oft stolpern die Filmhelden – na ja, „Helden“ ist wohl hier das falsche Wort, benutzen wir lieber den technischen Ausdruck „Protagonisten“ – in eine etwas vom Alltag abweichende Außergewöhnlichkeit hinein, und die verändert dann nach einem etwas längeren Prozess der Selbstfindung ihr weiteres Leben, das dann oft erst nach dem Filmende stattfindet. In „Wolfsburg“ ist es eine Fahrerflucht, in „Science Fiction“ von Franz Müller (in der Berlinale-Sektion „Perspektive Deutsches Kino“) hat die Umwelt die Filmprotagonisten vergessen, sobald sich hinter ihnen eine Tür schließt. Sie können also tun und lassen, was auch immer sie wollen. Alles von ihnen Getane ist nach Türschluss praktisch für die anderen ungeschehen. Aber im Durchspielen von gewissen Möglichkeiten dieser ungewöhnlichen Situation erschöpft sich dieser bisweilen doch ganz lustige Film dann auch fast schon. Er kommt einem wie eine gute, zu einem Langfilm gedehnte Kurzfilmidee vor.

Hinter geschlossener Tür – „Science Fiction“

Und im dritten Film, von dem hier die Rede sein soll, „Wir“ von Martin Gypkens (ebenfalls in „Perspektive Deutsches Kino“ zu sehen), passiert eigentlich bis auf den für seine Verhältnisse schon äußerst fulminanten Schluss so gut wie nichts, außer dass der Film sehr gesprächig ist. Zehn junge Leute in Berlin reden fast unaufhörlich. In der Küche, auf der Straße, auf Parties, im Bett. Der Film gehört also zu der oben schon erwähnten Kategorie der „Quasselfilme“. Weshalb er sich natürlich fast folgerichtig für ein Prädikat von der Filmbewertungsstelle aus Wiesbaden eignet. Und das hat er dann auch bekommen, nämlich das Prädikat „Besonders wertvoll“. Die Begründung ist so bedeutungsschwanger nichtssagend wie so oft bei diesen Prädikaten, dass sie sich in diesem Fall hervorragend als Inhaltsbeschreibung eignet: „Unaufdringliche, ungeschminkte und facettenreiche Momentaufnahme von einer Gruppe junger Erwachsener in Berlin, von ihren Beziehungen, von Sex, Drogen, von Hilf- und Perspektivlosigkeit. ‚Ein Film von uns über uns.'“ Hilf- und perspektivenlos?! Das schreit ja förmlich nach einen Kinobesuch, pardon: nach einem Fernsehabend.

Von uns über uns gequasselt – „Wir“

Wie lautete die Überschrift des Berliner „Tagesspiegel“ zu der Kritik von „Wolfsburg“? „Das Leben ist eine Tiefkühltruhe“. Jedenfalls bei Petzold. Jegliche Melodramatik, die der Filmstoff anböte, wird durch Sprach- und Hilflosigkeit der Personen abgefangen. Der kleine Sohn einer alleinerziehenden Mutter (Nina Hoss) wird von einem Autofahrer (Benno Führmann), der durch einen vorangegangen Streit mit seiner Freundin von seiner Konzentration auf die Straße abgelenkt ist, überfahren und dann liegen gelassen. Der Fahrer bereut. Forscht nach der Mutter des Jungen, findet sie auch, rettet sie sogar bei einem versuchten Selbstmord, lernt sie daraufhin langsam näher kennen, sagt aber von seiner Fahrerflucht nichts. Er verliebt sich in sie. Sie forscht derweilen nach dem Fahrerflüchtling, kann ihn jedoch vorerst nicht entdecken. Er bricht mit seinem bisherigen Leben. Zwischen beiden entwickelt sich langsam und spröde so etwas wie eine beginnende Beziehung. Zu zweit aber dennoch allein.

Auf der Fahrerflucht vor sich selbst – „Wolfsburg“

Der Film beobachtet präzise, bleibt aber auf der Oberfläche kalt und frostig wie seine Personen. Nichts bordet über, keine unnötigen Dinge geschehen oder verstellen die Filmbilder. Die Personen scheinen eher zu implodieren, als dass sie etwas der Außenwelt preisgeben. Die Dialoge beider artikulieren sich in scheuen Blicken, in denen so etwas wie Hoffnung aufkeimt, die aber an Ende wieder auf den harten Boden einer schonungslosen Realität zurückgeworfen wird. Ein Film voller Trauer. Spartanisch wird dahingeschwiegen und -gelitten. (Helmut Schulzeck)

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