Chinas Möglichkeiten
Blind Shaft (Mang Jing) (Li Yang, HK/CH/D 2002), Hero (Ying Xiong) (Zhang Yimou, HK/CH 2002)
Der Wettbewerbsbeitrag „Blind Shaft“ („Blinder Schacht“) von Li Yang zeigt ein China im brachialkapitalistischen Umbruch, zu dem ehemals plan-sozialistische Länder in beängstigender Unverblümtheit neigen. Das Leben ist hart in einer kargen Bergbauwelt, in der es anfangs wenig Raum für Menschlichkeit zu geben scheint. Relativ undramatisch, eher beiläufig, ohne viel Aufhebens davon zu machen, wird gleich zu Beginn ein Mord gezeigt. So, als ob er halt dazu gehört, ganz sachlich ohne Skrupel der beiden Protagonisten, so als sei es das Normalste von der Welt.
Song und Tang, zwei Freunde, arbeiten im Bergbau. Sie hatten einem Arbeitslosen – eigentlich genau so ein „armer Hund“ wie sie selber, nur eben viel naiver – als engen Verwandten ausgegeben, ihm einen Job unter Tage in ihrer Nachbarschaft besorgt. Kurze Zeit später schlagen sie ihrem Opfer im Schacht den Schädel ein, was sich leicht als Arbeitsunfall kaschieren lässt. Die Decke des Stollens ist dann halt mal wieder eingestürzt. Die Minenbesitzer, die ihr Geschäft ohne Rücksicht auf Sicherheitsvorschriften betreiben, zahlen wie selbstverständlich Schweigegelder an die vermeintlichen Verwandten.
Von Anfang an kommen die beiden Täter eher als gutmütige Kumpel daher, denn als brutale Mörder. Die chaotischen, existenzbedrohenden Verhältnisse bringen sie zu ihrer tierisch anmutenden Grausamkeit. Dass sie im Grunde genommen ganz nette Kerle sind, wird in der weiteren Geschichte deutlich, in der sie ihr nächstes Opfer, einen 16-jährigen fast noch Knaben, in die Bergwerkswelt einführen. Fürsorgliche Kameradschaft kämpft gegen berechnende Skrupellosigkeit. Dokumentarisch genau, eher ohne große spielfilmhafte Mittel bildet der Film die triste und harte Welt der ausgebeuteten kleinen Leute ab. Existenzangst in einem China, dessen gesellschaftliche Transformation wie eine Krankheit anmutet, die mit menschenbedrohlichen Symptomen einhergeht.
„Gutmütige“ Mörder – „Blind Shaft“ (Mang Jing)
Wie weit entfernt von der Gegenwart – oder vielleicht doch nicht? – ist dagegen Zhang Yimous Martial-Arts-Märchen „Ying Xiong – Hero“, der seinen Vorläufer, Ang Lees „Tiger and Dragon“, nie verleugnen kann, auch weil er ihn in seinen Bildern zu jeder Zeit zu übertrumpfen versucht. Und was für ein Kontrast zu der jeglichen Schauwerten förmlich abholden, oft bedrückend ärmlich wirkenden Produktion (was aber nicht als Vorwurf gemeint ist) von „Blind Shaft“ mit seiner bitteren Geschichte. Praktisch die andere Möglichkeit, die der chinesische Film dem Wettbewerb der diesjährigen Berlinale anbot. „Hero“ setzt die Gründungslegende des ersten chinesischen Kaiserreichs in der bis dato mit 33 Millionen Dollar teuersten chinesischen Filmproduktion in Szene. Ein ästhetisches Spektakel, das nicht nur in leuchtenden Farbenreigen und in der Figurenchoreografie seines gleichen sucht.
Im 3. Jahrhundert vor Christi Geburt kommt ein namenloser Held zum König, der dessen drei größte Feinde besiegt haben will. Zum Beweis hat er ihre Waffen mitgebracht und erzählt dem König seine Version des Kampfes. Doch der Herrscher erkennt, dass er hinters Licht geführt werden soll und entwirft den von ihm vermuteten Hergang der Geschichte. Daraufhin präsentiert der Kämpfer eine dritte Version und enttarnt sich endgültig. Dieses eigentlich so einfache mystische Märchen, das seinen im Grunde genommen doch oft statischen Charakter nicht verleugnen kann, wird von Zhang Yimou zu einem gewaltigen, prachtvollen Schwertkämpferfilm stilisiert mit artifiziell stilisierten Kämpfen nicht nur zu Lande, sondern auch in der Luft und auf dem Wasser. Dabei werden die Actionszenen mit Hilfe von Zeitlupe, Farbeffekten und anderen üppigen Bildzutaten auf ein ästhetisches Niveau getrimmt, das in seinem Rausch oft vergessen macht, wie sehr der Film inhaltlich bisweilen auf der Stelle tritt. Wenn der makellos gelbe Herbstwald sich bei tödlichen Verwundungen der einen Kämpferin augenblicklich in ein tiefes Rot färbt, oder das Heer des Königs tausende Pfeile zugleich abschießt, die sich wie zu einem gewaltigen Geschoss zu bündeln scheinen, oder die Kämpfer wie grazile metallische Federn durch die Lüfte tanzen, und wenn alles so überbordernd und reich auf Breitwand daherkommt … Dann macht es einen staunen, was heutzutage ja eher eine Seltenheit ist.
Farbenprächtiges Kampfballett – „Hero“ (Ying Xiong)
Zhang Yimou scheint uns zeigen zu wollen, was er alles in diesem Genre kann, und das gelingt ihm, auch wenn er die Musik zu 90 Prozent aus „Tiger und Dragon“ gestohlen zu haben scheint. Wie auch das Ende, in dem sich der Held dem Ganzen, sprich dem zukünftigen (hier weisen, in Wirklichkeit aber eher blutrünstigen) Kaiser opfern muss, der zwar die Nation eint, aber unter dem Signum der Tyrannei Tausende brutal abmetzeln ließ. Kein Wunder, dass das Politbüro in Peking mit diesem Film keine Probleme hatte. (Helmut Schulzeck)