Schattenseiten
In this World (Michael Winterbottom, GB 2002), Lichter (Hans-Christian Schmid, D 2002)
Menschen in Not. Sie fliehen in eine andere Welt in der Hoffnung auf eine bessere Überlebenschance. Michael Winterbottom zeigt in seinen Film „In This World“ eine solche lebensbedrohliche Flucht. Erzählt wird die Flucht der beiden afghanischen Cousins Jamal und Enayatullah, die in Pakistan in der Stadt Peschawar an der Grenze zu Afghanistan in einem Flüchtlingslager leben. Emal, ein 14-jähriger verwaister Junge schlägt sich mit Arbeit in einer Ziegelei durch. Enayatullah, schon über 20 Jahre alt, arbeitet am familieneigenen Marktstand. Die Familie schickt beide nach London, um ihnen die Möglichkeit zu einem besseren Leben zu eröffnen. Beide versuchen mit Hilfe von Schleusern durchzukommen. Ihre sehr gefährliche und beschwerliche Reise geht gebremst und fast verhindert über den Iran, die kurdische Gebirgsregion bis in die Türkei; von Istanbul auf den mörderischsten Teil ihrer Flucht mit dem Schiff nach Triest – 40 Stunden eingesperrt in einem Frachtcontainer, zusammen mit anderen verzweifelten Flüchtlingen – später dann nach Frankreich und nach England. Nur einer von beiden bleibt am Leben.
Ungewisse Zukunft – „In this World“
„In This World“ ist auf dem Videoformat DV gedreht, mit Laiendarstellern an Originalschauplätzen. Mit seinem halbdokumentarischen Charakter kommt der Film dem ganzen Elend dieser von reiner Existenznot Getriebenen ungeschönt, sehr realistisch nahe. Die Entscheidung, sich auf das Schicksal zweier afghanischer Flüchtlinge zu konzentrieren (wobei diese bereits vor dem 11. September 2001 gefällt wurde), zielt auf die künstliche Trennung zwischen politischen Flüchtlingen und Wirtschaftsflüchtlingen. Ein Ziel des Filmes war es von Anfang an, „die Aufmerksamkeit auf die Scheinheiligkeit zu lenken, mit der offensichtlich mit zweierlei Maß (…) gemessen wird“ (aus dem Presseheft zum Film). Regisseur Witterbottom meint dazu: „Man kann nicht sagen, dies ist ein politischer Flüchtling und dies ein Wirtschaftsflüchtling. Das sind Definitionen – und Definitionen schaffen Einteilungen, die in der Wirklichkeit nicht existieren.“
Der deutsche Wettbewerbsbeitrag „Lichter“ von Hans-Christian Schmid handelt u.a. auch von Flüchtlingsschicksalen. Geschickt verknüpft der Film in episodenhafter Struktur fünf Geschichten an der deutsch-polnischen Grenze bei Frankfurt an der Oder. Eine ganze Gruppe von ukrainischen Flüchtlingen wird mit Sack und Pack im polnischen Grenzland abgesetzt, mit der Lüge sie seien schon in Deutschland. Nur einer von ihnen kommt schließlich nach zweimaligen Anlauf und unter Mithilfe eine deutschen Dolmetscherin nach Berlin durch. Alle erfahren schmerzlich die Abschottung des „gelobten“ Westens.
Deutsche Geschichte(n) – „Lichter“
Im Gegensatz zu „In This World“ bilden aber die Flüchtlingsgeschichten nur eine, wenn auch nicht unerhebliche Facette in dem Portrait eines sozialen und geographischen Raums am Rande unserer Wohlfahrtsgesellschaft. Mit viel Sensibilität gelingt es Schmid, den Befindlichkeiten der Zukurzgekommenen im Osten Deutschlands und ihren polnischen Nachbarn nachzuspüren. Da ist der kleine Händler, der vergeblich sich mit dem Verkauf von Matratzen eine neue Existenz schaffen will, der polnische Taxifahrer, der verzweifelt versucht, mit allen Mitteln das Geld für das Kommunionskleidchen seiner Tochter zusammen zu bekommen, oder eine heruntergekommene Familie, die sich mit Schrotthandel und Zigarettenschmuggel über Wasser hält. Immer scheint das Scheitern schon vorprogrammiert zu sein. Eine Gesellschaft von Verlierern, die aber ihre Stehaufmännchenmentalität noch nicht verloren hat. (Helmut Schulzeck)