Preisverdächtig

The Hours (Stephen Daldry, GB 2002)

„The Hours“ hat ein beachtliches Drehbuch (David Hare nach einem Roman von Michael Cunningham), aber Leben gewinnt der Film besonders durch seine ausgezeichneten Darsteller, allen voran Nicole Kidmann, die in ihrer Rolle als Virginia Woolf unter anderem wegen ihrer Nasenattrappe kaum noch wiederzuerkennen ist. Selten hat man sie so eindringlich, so intensiv, so kämpferisch und zerbrechlich zugleich spielen sehen. Ihr Porträt der tragischen Schriftstellerin zwischen Kreativität und lebensbedrohenden Depressionen gelingt mit außergewöhnlicher Tiefe.

Der Film umspannt drei Handlungsstränge, die miteinander verwoben sind, sich auseinander ableiten, sich gegenseitig kommentieren und vertiefen. Drei Frauen mit ihren unterschiedlichen Geschichten zu drei verschiedenen Zeiten. Virginia Woolf kämpft 1923 in einem Londoner Vorort mit ihrer kranken Psyche, mit ihrem sie liebenden Mann und mit Anfang und Thema für ihren Roman „Mrs. Dalloway“.

Nasenattrappe und Seelenleid – Nicole Kidman, Stephen Dillane

Juliane Moore spielt ihre Figur Laura Brown mit gleichmäßiger Melancholie und Traurigkeit, die Lebensbedrohung signalisiert. Als Hausfrau und Mutter in einem typischen Middle-Class-Ghetto im Los Angeles von 1951, führt die Lektüre von „Mrs. Dalloway“ sie zu einer radikalen Wende in ihrer Existenz. Ihr Leben als bloße Fassade, ihre tote Ehe in einem Haus wie in einen Kerker erzwingen für sie diese Konsequenz.

Clarissa Vaughan (Meryl Streep) lebt 2001 in New York mit ihrer Freundin zusammen. Sie pflegt Richard (Ed Harris), der Dichter ist und gerade einen wichtigen Literaturpreis erhalten soll. Richard hat AIDS, erträgt sein Leben kaum noch, sagt, dass er nur noch lebt als Objekt der Fürsorge seiner Freundin Clarissa, der er wegen ihres Vornamens vor langer Zeit den Spitznamen „Mrs. Dalloway“ gegeben hat. Einen Sommer lang war er die Jugendliebe von Clarissa, der diese Momente des vergangenen Glücks zum Lebensmotor geworden sind.

Der Beginn des Films ist dramatisch, zeigt den Schluss und nimmt dennoch das Ende seiner drei Geschichten nicht voraus. Man sieht den Selbstmord von Virginia Wolf Anfang der 40er Jahre. In einem Abschiedsbrief an ihren Mann ringt die Gebrochene um Worte, um ihm ihre Konsequenz begreifbar zu machen. Dann geht sie zum Fluss, füllt ihre Jackentaschen mit Steinen und steigt ins Wasser. Dieser Anfang etabliert das übergreifende Thema des Films. Alle Protagonisten stehen letztendlich vor der Entscheidung, Selbstmord zu begehen oder eine andere Lösung für das für sie unerträglich gewordene Leben zu finden. Der Film schafft es, diesen, sich vor allem im Inneren seiner Personen abspielenden Kampf nach außen zu kehren. Verblüffend stringent werden seine Motive und Handlungsstränge zu einem Ganzen verschweißt. So ist „The Hours“ sicherlich einer der heißesten Favoriten auf den Goldenen Bären. (Helmut Schulzeck)

 

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