Gogo-Girls hinter Show-Gittern
Chicago (Rob Marshall, USA 2002)
Die Berlinale eröffnet mit Glamour aus den „Roaring Twenties“, mit Jazz-Bar-Flimmern, getaucht in Blau und Rot. „Chicago“ von Rob Marshall ist nicht nur vom Sujet her eine Hommage an die 20er Jahre, auch in der Bildästhetik lebt der große Revuefilm wieder auf. Doch da der Glamour von heute 80 Jahre potenzierter ist, kann man ihn natürlich nicht einfach so abfeiern, sondern zieht eine vergnüglich selbstironische Ebene ein.
Der Plot ist so simpel wie bei der Musical-Vorlage von John Kander, Fred Ebb und Bob Fosse: Broadwaysternschnüppchen Roxie Hart (Renée Zellweger) steigt mit einem Macher ins Bett. Doch das Hochschlafen endet mit einem Schuss ins Herz des vermeintlichen Förderers. Roxie kommt ins Gefängnis, um dort zu entdecken, dass sich hier mit einem gehörigen Maß an Korruption (grandios in einer Nebenrolle das Rapperinnen-Urgestein Queen Latifah) noch mehr erreichen lässt. Staranwalt Billy Flynn (Richard Gere) nimmt sich ihres Falls an und hat die richtigen Ideen für einen steilen Karriereknick nach oben. Eine Schwangerschaft wird erfunden, und die Medienmaschinerie surrt um Roxie wie geschmiert. Wäre da nicht Velma Kelly (Catherine Zeta-Jones), die als Liza Minelli für etwas Ärmere ebenso Flynns Dienste in Anspruch nimmt und die Konkurrentin auf dem Kieker hat. Am Ende Freispruch für Roxie und damit auch das Ende des Hypes. Bleibt nur, gemeinsam mit Velma die Showbühne als Duo zu erobern.
There’s no business like … – Catherine Zeta-Jones
„Chicago“ verbindet – oft mit erstaunlichen Match-Cuts und Szenenwechseln – die (allerdings spärliche) Handlung eng mit den in der Schnelligkeit der Clip-Rotation fotografierten Songs, die fast die Hälfte des Films ausmachen, und umschifft so die drohende Klippe, zur bloßen Nummernoper zu geraten. Und auch die Opulenz der Show-Einlagen dient nicht nur als knalliger Effekt, sondern zeigt das Showbiz in jenem schönen Schein, unter dessen „Hui“-Oberfläche oft ziemlich viel „Pfui“ lauert. Da erscheint eine gierige Pressemeute als zuckendes Marionettenballett, Roxie als Püppchen von Bauchredner Flynn, und die Song-Nummern dienen als willkommener Anlass, aus der Rolle zu fallen, den Film selbst als ein Stück der Illusionsmaschine zu zeigen – ganz selbstreferenziell.
Die Berlinale so zu eröffnen, darf man als einen augenzwinkernden Einfall der Festivalleitung werten. Denn der Medientrubel um Sternchen Roxie im Film spiegelt sich wenige Stunden nach der Pressevorführung im Blitzlichtgewitter an den roten Teppichen vor dem Berlinale-Palast. (Gudrun Lübker-Suhre)