Deutsche Befindlichkeiten

Sie haben Knut (Stefan Krohmer, D 2002), Befreite Zone (Norbert Baumgarten, D 2002)

Zum zweiten mal versammelte die Reihe “Perspektive Deutsches Kino” auf der Berlinale Filme von jungen deutschen Talenten. “Sie haben Knut” von Stefan Krohmer nimmt die durch historischen Abstand heute schon oft sehr komisch wirkende Politisierung der frĂŒhen 80er Jahre aufs Korn, thematisiert Beziehungsprobleme unter Paaren und innerhalb einer Gruppe. Gesellschaftliches Engagement und SolidaritĂ€t werden, ohne das es den Gruppenmitgliedern bewusst wird, durch intoleranten Betroffenheitskult und Paranoia desavouiert. Ingo will auf einer einsamen BerghĂŒtte Nadja wieder nĂ€her kommen, seine Beziehung zu ihr retten. Doch da fĂ€llt eine lĂ€rmende Volleyballgruppe unangekĂŒndigt bei ihnen ein, alles politisch aktive Freunde von Nadjas Bruder Knut – ganz unpolitisch auf Skiurlaub. Die Lage spitzt sich noch mehr zu, als bekannt wird, dass Knut im fernen Flachland (aus politischen GrĂŒnden?) verhaftet wurde. Es beginnt ein Theater pseudo-gesellschaftlicher Betroffenheit unter Gruppenzwang. Aus heutiger Sicht absurde Fragen tauchen auf, zumal sich spĂ€ter herausstellt, dass Knut nur aufgrund einer Verwechslung festgenommen wurde und nur eine Nacht in Polizeigewahrsam verbrachte: Darf unter diesen UmstĂ€nden noch weiterhin arglos Ski gefahren werden? Sollte man nicht lieber diskutieren, einen Protestsong entwerfen? Es wird indoktriniert und abgestimmt, Gruppenzwang soll gelten. Tragisch-komisch, erschreckend und lĂ€cherlich zugleich.

Soliparty auf der HĂŒtte – “Sie haben Knut”

Ebenfalls tragisch-komisch, aber deutlich satirischer angelegt entwirft “Befreite Zone” von Norbert Baumgarten ein ostdeutsches Kleinstadtpanorama Mitte der 90er Jahre. Es geht voran, alles scheint machbar – scheint! Schauplatz ist SĂ€sslen, eine Kreisstadt irgendwo in der Ex-DDR-Provinz. Fußball wird zum wichtigsten gesellschaftlichen Ereignis, stiftet IdentitĂ€t. Der Ortsverein “SV SĂ€sslen” schafft es im DFB-Pokal bis ins Endspiel gegen die Bayern. Dank “Blondie”. Flanke, Köpper, Tor, so das schlagende Erfolgsmuster. Die Einwohner verwandeln sich in eine jubelnde Fangemeinde. Im Rausch der Erfolge sieht man bereitwillig darĂŒber hinweg, dass “Blondie” eigentlich Ade Banjo heißt und aus Schwarz-Afrika kommt. Man lernt schnell, “Neger” heißt jetzt politisch korrekt “Farbiger”.

SV SĂ€sslen for ever – “Befreite Zone”

Eine Gesellschaft im Umbruch mit all ihren großen und kleinen Tragödien, deren Ursachen im Fußballgeschehen zu wurzeln scheinen: Wirtschaftsboom und -pleiten, lokalpolitische HĂ€ndel, LiebesglĂŒck und -leid, Toleranz und Rassismus. Am Ende kommt es wie es kommen muss. Die Fußballperle wird vom Westen weggekauft, der Katzenjammer findet bei den treuen Fußballfans ein Ventil in GewalttĂ€tigkeit gegen AuslĂ€nder und mit dem Boom wird es nun doch nichts. Der Osten arrangiert sich mit seinen Niederlagen – ertrĂ€glich und sogar Ă€ußerst vergnĂŒglich, weil durch die humoristische Brille gezeigt. (Helmut Schulzeck)

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