Nordische Filmtage Lübeck 2002
Fragile Familien
Open Hearts (Elsker dig for evigt)
Gefragt, ob „Open Hearts“ (DK 2002, 113 Min., 35 mm) ein Dogma-Film sei, reagiert Regisseurin Susanne Bier leicht genervt. „Kindisch und irrelevant“ findet sie die Diskussionen der Dogma-Puristen, inwieweit man dieses oder jenes vor und hinter der Kamera darf oder nicht. Das eigentlich Interessante an Dogma sei der Blick auf die Familie, die immer noch dem Idealbild des 18. Jahrhunderts (auf das der Filmtitel, wörtlich übersetzt „Ich liebe dich für immer und ewig“, anspielt) verhaftet sei, das in der Gegenwart aber mehr und mehr zerbreche, „dysfunktional“ werde.
In der Tat achtet man in Biers Film, zu dem Anders Thomas Jensen („Flickering Lights“) das Drehbuch schrieb, kaum auf die Einhaltung dogmatischer Grundsätze, sondern wird gefangen vom Plot des Films und seinen sensibel fotografierten Atmosphären.
Die noch junge, aber romantisch festgefügte Liebe eines Paars wird durch einen Autounfall jäh unterbrochen. Joachim (Nikolaj Lie Kaas) ist fortan gelähmt, während Schuldgefühle die Familie der Unglücksfahrerin Marie (Paprika Steen) plagen. Ehemann Niels (Mads Mikkelsen) nimmt sich der hilflosen Freundin des Unfallopfers, Cecilie (hervorragend gespielt von Sonja Richter), an. Aus Schuldbewusstsein wird Liebe und erzeugt neue, ganz andere Schuld. Biers vorsichtig tastende Erzählkunst bedient sich in kurzen, grobkörnigen Super-8-Sequenzen eines Regietricks, um den Film in den Köpfen der Figuren sichtbar zu machen. Im Wunschtraum können auch Gelähmte wieder die Hand zur Berührung ausstrecken und das erträumte Märchen erwacht noch einmal, während die Realität schon unerbittlich darüber hinweggegangen ist: Niels‘ Familie droht an der Affäre zu zerbrechen, das Beziehungskarussell dreht sich schwindelerregend, sicher Geglaubtes erweist sich als extrem fragil. (Gudrun Lübker-Suhre)