Ironische Freuden des Unwirklichen

Eindrücke vom Wettbewerb 2 bei den Flensburger Kurzfilmtagen

Was in der Literatur der Roman, ist im Film der Spielfilm, und was dort die Lyrik antreibt, inspiriert hier den Kurzfilm. Wenige Minuten, da kann man nur eine Idee, nur ein „Bild“ einfangen, kaum Geschichten erzählen, und entsprechend zuspitzend muss man zu Werke gehen. Der Wettbewerb 2 am Samstagabend (21.9.) des Flensburger Kurzfilmwochenendes bot dafür Beispiele, die jenes zuspitzende Moment hervorhoben und zugleich den großen Wirklichkeitsentwurf des Spielfilms/Romans mit kurzen Einwürfen des Unwirklichen im Wirklichen konterkarierten.

Schlag auf Schlag geht es buchstäblich in Alex Heims „Heimorgeln“ (VHS, 2,5 Min.) zu. Video und Performance sind eins, wenn Heim sich selbst aus der Perspektive einer Überwachungskamera beim Zertrümmern einer Heimorgel filmt und das One-Take-Material später in Mini-Schnippsel zerlegt loopt. Ein Beat der Bilder, der beim Zuschauer wie der Hammer ankommt, mit dem im Film ein 70er-Relikt und nicht zuletzt auch die Wirklichkeit zertrümmert wird.

Die Verfremdung, die Realität zuweilen innewohnt, schaut man ihr unter den Mantel, und damit ein komisches Element zeigt auch Rabea Eipperles „Peute“ (Beta SP, 3 Min.). Eine Frau tanzt Ballett, jedoch nicht auf der gewöhnlichen Bühne, sondern sozusagen verlegt in die Vertikalen eines Kleinbusses auf einem Parkplatz. Koboldhaft wirkt dieser Tanz, der damit ebenso zu einem Reflex des Unwirklichen auf das Wirkliche gerät.

Franz Winzentsen kleidet die Fiktion in seinem Doku-Fake „Argentinien – eine kleine Länderkunde“ (35 mm, 15 Min.) in das Habit der Realität. Unterlegt von einem pseudoernsten Kommentar animiert der Film jene Kitschfundstücke, die Touristen von ihren Reisen aus fernen Ländern mitbringen. So verblasen wie diese Folklorismen als vermeintliche Wirklichkeits-Bits nach Hause tragen, bringt Winzentsen eben jene Zerrbilder ironisch zum Schwingen. Ein heiteres Spiel mit quasi-kolonialen (Vor-) Urteilen.

Auch Susanne Quester spielt in „Finow“ (16 mm, 8 Min. – ausgezeichnet mit dem Publikumspreis) mit der Illusion des Dokumentarischen. Eine Parodie auf einen Dokumentarfilm könnte man den Blick auf Kinderspiele im Wald nennen, der erst durch den Off-Kommentar zu einem fiktiven Sozialkunde-Report aus der „Republik Finow“ wird.

Jan Peters, bekannt durch tagebuchartig ungeschnittene Filme wie „Dezember 1-31“, verfolgt diese Methode in der Kurzfassung von „Wie ich ein Höhlenmaler wurde“ (16 mm, 20 Min.) weiter. Eine Art Hyperrealismus, der gerade durch den weitgehenden Verzicht auf Montage, die über bloße Reihung hinausgeht (bis dahin, dass das belichtete Filmende, das aus der Dose hängt, nicht abgeschnitten wird), dennoch dauernd zu sagen scheint: Hallo, ich bin „nur“ ein Film! Also inszeniert? Wenn Peters sich beim Regie-Volontariat im Dschungel des Hamburger Schauspielhauses selbst mit der Kamera begleitet, ist die Wirklichkeit so inszeniert wie jede Wirklichkeit, die subjektiv wahrgenommen wird. Das Kameraauge als ein Zuschauer aus dem Innen der Person und damit so „unrealistisch“ wie das Leben selbst – zumal in einem (Welt-) Theater.

Der Film gilt wie die Fotografie vielen als realistischste Kunst. Und dennoch – das erscheint in diesem 2. Wettbewerbsprogramm, das nicht von ungefähr das provokante Motto „Wahrheit“ trägt, als die Wettbewerbsbeiträge verbindendes Moment – vermag Film durch seine Technik Realität komplett zu illusionieren. Ganz simpel, wenn man den Film rückwärts laufen lässt wie in Harry Sachs‘ „Roadmovie“ (35 mm, 1 Min.), wo ein Auto aus einem Schrotthaufen heraus zurück auf ein benachbartes Hallendach springt. Feinsinnige Ironie dabei: Es springt vorwärts, während es „in Wirklichkeit“ rückwärts vom Dach stürzte. Was ist da wirklicher, die Wirklichkeit oder ihre Bannung aufs Zelluloid, verkehrtherum …?

Die Kamera als Instrument weniger des Bilderklaus aus der Wirklichkeit, denn der Initiation poetisch gefärbter Gegenweltlichkeit bringt Experimentalstreifen wie „Popcorn“ von Liisa Lounila (Finnland, Beta SP, 4,5 Min.) hervor. Mit einer 18 Meter langen Lochkamera erreicht die Filmerin surreale Raumwirkungen. Nicht minder unwirklich, jedoch nicht in der Dimension Raum, sondern in der der Zeit, wirken Eric Patricks Superzeitraffer in „Ablution“ (USA, 16 mm, 12,5 Min.). Die Verfremdung wird hier bis zur Schwindel erregenden Verstörung vorangetrieben.

Und selbst wenn die Kamera in stoischer Zurückhaltung einfach „abfilmt“, können Bilder unwirklich werden. Prosaisch klingt nicht nur der Titel des Dokumentarfilms von Anke Limprecht: „Maßnahmen des Bundesamtes zur Sicherung von Kulturgut“ (35 mm, 12 Min.). Limprecht enthält sich jeden Kommentars im Off, lässt die Wirklichkeit selbst reden, hier stumme Kulturgüter, die als Mikrofilme in atombombensicheren Bergwerken für die Nachwelt eingesargt werden. Und dadurch unwirklich werden, denn solchen „Toten“ schaut erst in Tausenden von Jahren wieder jemand zwischen die (verfilmten!) Buchblätter. Wird der oder die dann Wirklichkeit vorfinden? (jm)

Cookie Consent mit Real Cookie Banner