Eröffnungsfilm bei den Nordischen Filmtagen: „Schwestern im Leben“
Als Eröffnungsfilm der Nordischen Filmtage (31.10. bis 3.11.2002) läuft am 31. Oktober um 19.30 Uhr Wilfried Haukes (Nordlichtfilm) Dokumentation „Schwestern im Leben“. Im Folgenden stellt der Autor seinen Film selbst vor.
„So haben wir uns auf diese merkwürdige Reise begeben, die niemals wieder enden wird. Sie begann ganz plötzlich mit einer Verführung, mit der Freude darüber, dass wir uns treffen sollten. Und wir haben nachgedacht, wie wir diese Freude hinüberbringen könnten, in die Kamera, zu den Menschen. War es nicht eine merkwürdige Reise? Denn – wir haben keine Rollen gespielt, wir waren ja wir selber. Aber … wir sind doch auch Professionelle. Wir kennen die Kamera zu gut. Wunderbare, merkwürdige Dinge sind passiert.“
Es war die letzte Szene unseres Drehs und es ist die Schlussszene unseres Films geworden. Ghita Nörby, Bibi Andersson und Liv Ullmann haben es sich in Bibis Zimmer auf dem Bett bequem gemacht, feiern Abschied und ziehen Bilanz. Über sechs anstrengende, erfüllte Tagen in der alten Königsvilla „Klitgaarden“ direkt an Dänemarks Nordspitze, in Skagen. Kein schöneres Kompliment hätte gemacht werden können, den drei Frauen selbst und unserem Wahnsinnsprojekt nicht, als Von Ghita Nörby mit diesen Sätzen.
Die drei großen Diven des skandinavischen Kinos, eine Daänin, eine Schwedin und eine Norwegerin, hatten überraschend zugestimmt, wollten erstmals gemeinsam vor der Kamera auftreten und in einer außergewöhnlichen, sie unerwartet fordernden „Rolle“ dazu. Denn ein dickes Drehbuch, feste Dialoge oder gar eine Klappe gab es nicht Nur sich selbst sollten sie darstellen, sollten persönlich sein, ohne Netz und doppelten Boden.
Die Idee zur Handlung des Films war karg, nicht mehr und nicht weniger als ihr Sosein als Frau und Künstlerin sollte erlebbar werden, vermittelt durch das Beisammensein mit Lachen und Weinen, im fantastischen Haus und am hellen Meer. In den Dünen am rauen Nord- und sanften Südstrand. Im Hafen mit den verrosteten Fischtrawlern, die bessere Zeiten gesehen haben, und mit den noch immer lebendigen Fischauktionen am frühen Morgen. In der eingewehten St. Laurentiuskirche, Skagens Wahrzeichen und an der gigantischen Steilküste bei Rubjergknude, wo Kirche und Friedhof ins Meer zu stürzen drohen.
„Skagen ist nicht Dänemark“ – sagt Ghita Nörby. Und die Schwedin Bibi und ihre norwegische „Schwester“ Liv fügen hinzu: „Dieses Licht, der Himmel, das Meer, Fantasie, Träume … und plötzlich denkst du, was passiert da mit uns? Skagen verändert – ohne dass du es merkst – dein Leben.“
„Sich selbst sein“ vor einer Kamera, gefordert von Konzept und Regie – wenn dazu noch 40 oder gar 50 Jahre als Schauspielerin hinter einem liegen, zumal in Filmen, die Geschichte geschrieben haben – eigentlich unmöglich! Und dann auch noch jede als Spiegel der anderen. Eine Aufgabe, die Mut, Vertrauen und Liebe voraussetzt. Und die Bereitschaft bis an Grenzen zu gehen. Längst ist dieses Skagen für uns eine Seelenwanderung der besonderen Art geworden.
Die Gespräche von Liv, Ghita und Bibi beim Essen am Abend kreisen immer wieder um den selben Punkt: Ist die Kamera überhaupt zu vergessen, ist sie nicht ein fester Bestandteil oder gar eine Daseinsform unseres besonderen Lebens, unseres Star-„Ich“ geworden? Und ist es legitim oder würdelos frei über intime Dinge wie Krebserkrankungen, Scheidungen, uneingelöste Träume, Sex im Alter oder Streit mit der Freundin zu reden? Meine Diven werden Menschen und entscheiden sich wie Normalsterbliche zu sein. Kein Wunder, dass am Ende alle so erschöpft sind. Es geht an die Substanz, im wahrsten Sinne des Wortes geht es „ums Leben“.
„Schwestern im Leben“ – drei starke, kluge Frauen, große Persönlichkeiten und wunderbare Künstlerinnen, Frauen, die sich unterschiedlich intensiv kannten – Liv und Bibi ein Leben lang, Ghita und Liv aus gemeinsamer Filmarbeit, Bibi und Ghita über Bergman – sie haben sich in wahrhaft klassischer Anmut auf eine gemeinsame Ich-Erkundung begeben und haben den handfesten emotionalen Umgang nicht gescheut, haben sich geöffnet, einander zugewandt, gelitten und gelacht. Vor und mit der Kamera.
Am Ende spüren wir alle das Wunder: Liv, Bibi und Ghita sind „Schwestern“ geworden – schöner, mächtiger und tiefer als jede Filmidee vorab erahnen lassen konnte: „im Leben“. Unser Film ist nur das Dokument dazu geworden.
(Wilfried Hauke)