Vorschau auf das Filmfest Hamburg 2002 (23.-29. September)

Mit der Welturaufführung des neuen Films von Fatih Akim (mit Moritz Bleibtreu in einer Hauptrolle) startet das Filmfest Hamburg (23. September im CinemaxX am Dammtor, 19.00 Uhr) sein Hauptprogramm. Das Filmfest feiert damit im vierten Jahr in Folge zur Eröffnung das junge deutsche Kino. Akim erzählt in „Solino“ die bewegte und bewegende Geschichte einer italienischen Gastarbeiterfamilie, die in den 60er Jahren die erste Pizzeria im Ruhrgebiet eröffnet. Drehbuchautorin Ruth Thoma (eine der zur Zeit hierzulande meistbeschäftigten ihrer Zunft, z.B. auch Co-Autorin von Lars Büchels letztem Film „Jetzt oder nie“ und nächsten „Erbsen auf halb sechs“) verarbeitete für das Drehbuch die Biografie ihres Ehemannes Sebastiano, dessen Familie vor rund vierzig Jahren tatsächlich die Pizza ins Ruhrgebiet gebracht hat.

Ebenfalls am 23. September kommt Mike Leigh nach Hamburg, der seinen dieses Jahr in Cannes von der internationalen Kritik als Mitfavorit für die Goldene Palme gefeierten Film „All or Nothing“ vorstellt. Auch in diesem Film widmet er sich den Sorgen und Neurosen des kleinen Mannes im tristen Süden Londons, wo die althergebrachten Werte kaum noch eine Chance zu haben scheinen. Am Beispiel eines seit langem perspektivlosen, von Ehefrau und Kindern bestenfalls ignorierten Taxifahrers zeigt Leigh, wie schwer es ist, eine Familie angesichts wachsender zwischenmenschlicher Spannungen zusammenzuhalten. Zur deutschen Premiere im Abaton (20.30 Uhr), werden neben dem Regisseur und Hauptdarsteller Timothy Spall weitere Darsteller erwartet, die sich nach der Vorführung dem traditionellen Publikumsgespräch stellen werden.

Auch das diesjährige „tesa film festival“, seit drei Jahren die Debütfilm-Sektion innerhalb des Filmfestes Hamburg, beginnt mit einem „jungen deutschen Film“. Am 24. September (CinemaxX, 19 Uhr) präsentiert Maria von Heland ihr Kinodebüt „Große Mädchen weinen nicht“. Erzählt wird die authentische Geschichte zweier Freundinnen, deren enges Verhältnis durch nichts zu erschüttern zu sein scheint. Doch enttäuschte Liebe, Eifersucht und Frust im Elternhaus führen zu Kurzschlussreaktionen, die den Zusammenhalt der beiden Teenager auf eine Zerreißprobe stellen. Die weiblichen Hauptdarstellerinnen dieses Films (Anna Maria Mühe, Josefine Domes und Karoline Herfurth) überzeugen durch eine Leinwandpräsenz, wie man sie selten bei deutschen Nachwuchsschauspielerinnen sieht.

Den Douglas-Sirk-Preis, der seit 1995 auf dem Filmfest Hamburg verliehen wird, bekommt dieses Jahr Aki Kaurismäki, der seinen neuen Film „The Man Without a Past“, zeigen wird. Der Film bekam in Cannes den „Großen Preis der Jury“ und den Preis für die „Beste Darstellerin“ (Kati Outinen). „Mit Chaplin hat man seinen Film verglichen, und das zu Recht: So wie dessen Filme ist auch seiner herzergreifend, komisch und poetisch zugleich (…) ‚Einen Traum, geträumt von gebrochenen Herzen, deren Taschen leer sind‘, nennt Kaurismäki sein sozialrealistisches Melodram, das nach ‚Wolken ziehen vorüber‘ (1996) den zweiten Teil einer ‚Trilogie über Arbeitslosigkeit‘ bildet. Noch nie wurde Globalisierungskritik so anrührend geübt wie hier: in Form eines von Hollywood-Vorbildern inspirierten Märchens mit finnischen Tangos, altem Rock’n’Roll und in berückenden 50er-Jahre-Farben.“ (Festivalkatalog)

Als ein weiteres Highlight aus Cannes („Spezialpreis der Jury“) ist „Bowling for Columbine“ in Hamburg zu sehen. Der Dokumentarfilm von Michael Moore nimmt das Schul-Massaker im amerikanischen Littleton als Ausgangspunkt, um die Perversion des privaten Waffengebrauchs der Amerikaner zu beleuchten: „Are we a nation of gun nuts or are we just nuts?“ (Moore)

Ebenfalls im Nachspiel von Cannes zeigt das „tesa film festival“ „Japon“. Dieses eindringliche Erstlingswerk des Mexikaners Carlos Reygadas erzählt in atemberaubenden Bildern die Geschichte eines lebensmüden Mannes, der in der mexikanischen Einöde und durch ihre wortkargen Bewohner ins Leben zurückfindet.

Als eine der erfolgreichsten europäischen Produktionen dieses Sommers besonders in England, Australien, Indien aber auch in den USA wird die deutsch-britische Produktion „Kick It Like Beckham“ zu sehen sein. Es geht um die Geschichte eines britischen Frauenfußballteams mit einer ehrgeizigen, aber durch ihr konservatives Umfeld gebremsten indischen Mittelstümerin. Der Film spielt teilweise in Hamburg, wo anlässlich eines Freundschaftsspiels auf einem Fußballplatz in Eimsbüttel „heiße Dribblings und rasante Torschüsse“ (Verleihinfo) gedreht wurden.

Nach acht sehr erfolgreichen Jahren ist es heuer das letzte Festival in Hamburg unter der Leitung von Josef Wutz. Ein Grund für seinen Weggang ist die im Vergleich zur Festivalgröße mangelhafte finanzielle und damit personale Ausstattung, die er schon seit Jahren vergeblich beklagt hat: „… die Tatsache, dass man auch noch nach acht Jahren mit einem Team arbeitet, das zur Hälfte aus Praktikanten besteht, die zum Teil nur vier Wochen hier sind, dann muss ich sagen: Für ein Festival, an das die Regierung, die Medien dieser Stadt einen gewissen Anspruch stellen, ist dieser Zustand unmöglich. Ein Filmfest mit unserer Ausstattung kann es sich nicht leisten, neben dem Leiter zwei Leute dauerhaft zu beschäftigen, damit ich die Chance habe, auch inhaltlich und konzeptionell stärker zu arbeiten, mit Verbänden und Firmen zu reden. Das ist einfach eine Sache, die leidet, wenn man finanziell so mittelmäßig ausgestattet ist wie wir und gleichzeitig den Anspruch spürt, etwas zu machen, was nicht mittelmäßig ist.“ (aus: „Hamburg:Pur“, September 2002). Zu hoffen bleibt, dass die Maßstäbe, die Wutz für das Festival gesetzt hat, auch in Zukunft in Beachtung finden. (hsch)

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