Das Imperfekt(e) der Geschichte
„Faites vos jeux“ hatte im Kieler „Neuen Studio“ Premiere.
Die Geschichte läuft nicht so, wie erwartet. Sie läuft nicht in die richtige Richtung. Die Geschichte ist imperfekt wie sie vergangen ist (und also im Imperfekt erzählt werden muss), aber immer noch schmerzhaft nachwirkt. Karsten Weber, „spider-man“-mäßige Zentralgestalt des kollektiven Filmprojekts „Faites vos jeux“ (Förderung von der Kulturellen Filmförderung S.-H.), nach „Maldoror“ der zweite große Wurf einer internationalen Super-8-„Squad“, die das Label „Exploding Cinema“ wörtlich nehmen will, steht mit dem Premieren-Bier vor der Leinwand. Seine Ankündigung, dass dies allenfalls eine Vorpremiere sein könne, weil das Kopierwerk „Mist gebaut hat“, fügt sich nahtlos in das Bild von Filmern, die nicht fertig werden, weil auch die Geschichte nicht fertig ist und keinesfalls am Ende. Viele Szenen zu dunkel und stellenweise die Tonspur um bis zu drei Sekunden verschoben – Karsten ist genervt. Und Karsten ist darin ein Sympath, denn wer hätte glauben mögen, dass er und seine Kombattanten einen Film drehen könnten, bei dem alles so aalglatt passt wie in der Gesellschaft aus Nemax-Yuppies und anderen Kriegsgewinnlern. Scheitern als ästhetisches Programm, wenn die Geschichte so scheitert wie die x Revolutionsversuche, die ihr auch nicht auf die Sprünge helfen konnten.
Keine Szene in dieser fast 90-minütigen und damit zuweilen allzu arg auf die Folter spannenden Explosion der Bildmontage ist selbst gedreht. Alles „found footage“. Und das ist Programm, denn die Geschichte von den 70ern bis heute soll sich in ihren eigenen schmutzigen Bildern erzählen. Den „Dreck“ haben die Super-8-Piraten, die diesmal mit Video und veralteten Mixern arbeiteten (wir berichteten), bevor das Werk zur End-Zerstückelung wieder auf Film geboostet wurde, selbst drüber gemacht. Der Kratzer im Bild, mit wilder Nadel geführt, die Milchsäurespur, die mutwillige Staubzerraspelung, der fette Filzstift, all das verfremdet die Originalbilder und entstellt sie so zur Kenntlichkeit. Nicht anders die Beats auf der Tonspur, die eine Armada von Avantgardisten aus aller Welt zu jeder Episode unter die Haut der Bilder pumpt, spitz an der Nadel und manchmal einfach nur richtig geil wie Lumpi.
Wie Aquarelle, lasiert von der Ungnade zu später (oder überhaupt) Geburt, wirken die Kindheitsbilder am Anfang. Ist hier noch Glück, während die Studenten bereits zum Marsch auf und nicht wie später durch die Institutionen blasen? Aux armes! Doch hier darf erstmal noch brüchiges Idyll ausbaldowern, was am Schluss zum Schuss in Mund- und Kopfhöhle geradezu notwendig führen muss. Gezeichnete Piranhas beißen sich durch die Bilder, wie der Bürgerschreck, der naht und der dieser ganze Film werden wird.
Es folgt, was folgen muss, denn der Weltgeist strebt, so meinte schon Hegel und Marx gab ihm die Richtung. Prügelperser, Kaufhausbrand, Stammheim. Eine Montage, die dem Lemming-Lauf der Geschichte Eisenstein’sch die Sporen gibt. Stammheim, Gitter, der Knast mitten in der Demokratie, die nie eine war, nie wirklich. Folter? Hungerstreik der Bilder zuweilen, wenn sie dürr werden, sich im Scratchen in bloßes Gewittern verlieren, Gerippen gleich über die Leinwand zucken, Wiedergänger, deren Leib man nur noch erahnen kann. In dieser Trash-Tonne fällt die Orientierung oft schwer. Aber dann wirft der Film dem Versinkenden Eindeutiges zu wie einen Rettungsring. Schnippsel aus indischen Liebesfilmen fragen, was wäre, wenn Bilder nicht nur die Scheinbarkeit der Leidenschaft bürgen, wenn all das echt wäre, das Lecken, das Schmachten, das eins werden mit Welt …
Auch das aber ist nur ein Augenzwinkern der Geschichte, die auf den Tod hin geht. Wir nähern uns den 90ern, dem letzten Kriegsjahrzehnt der zehn Kriegsjahrzehnte des vergangenen, aber längst nicht bewältigten Jahrhunderts. „Either you’re with us or you are with the terrorists“, blökt die Bush-Fratze und lässt sein Propagandaministerium anlaufen zum „heiligen Krieg“. „Wollt ihr den totalen Krieg?“ antwortet Hitler im Sportpalast. Eisenstein hin oder her, hier wird die Aussage plump, der Film selbst zur Propaganda. Ein Wermutstropfen, der über das Ziel hinaus ejakuliert.
Egal. Die Filmpiraten machen weiter ihr Spiel, zeigen die in Hochhäusern detonierenden Flugzeuge des 1(1). Septembers mit eben jener Genüsslichkeit des Schreckens, der auch schon an den damaligen Nachrichtensendungen irritierte. Vielleicht ist das noch zu nah dran, um stringent montiert zu werden. Der Film wird flacher, indem er eindeutiger werden will. Und man sehnt sich wieder nach der intelligenten Verfremdung, dem Symbolismus der ersten halben Stunde.
Aber da ist noch die untergründige Geschichte eines scheiternden Lebens, die hier auch erzählt wird, entlang an den ratternden Geschichtssplittern. Mit einem „bang, but not a whimper“ endet die im Geschoss, das durch den Kopf geht, von eigener Hand. Beklemmung macht sich breit. Und das Ahnen, dass dieses Weltentwurfsexperiment trotz aller Schwächen nicht fehlschlug, nicht scheiterte.
Nach der Premiere sieht Karsten Weber erschöpft aus. Die Haare struppig, ein Künstler wie nach dem Wettlauf an der und um die weiße Leinwand. Er ist am Ziel. Und er hat sie gewonnen, diese große, fulminante Bilderschlacht. (jm)