Zwischen Ware und Wahrheit

Unter dem Motto “Erlaubt die Quote alles?” diskutierte man in der IHK die Frage der Ethik in der TV-Berichterstattung.

Es war wieder einer dieser heißen Nachrichtentage. Moderator Wilm Herlyn, Chefredakteur der Deutschen Presseagentur, nahm am 26.4. den Amoklauf in Erfurt zum ganz praktischen Anlass für die Frage, wie auch auf dem umkämpften Nachrichtenmarkt ethische Grundsätze gewahrt werden könnten. Im Rahmen des Wirtschafts- und Kulturfestivals “VISION Schleswig-Holstein 2002” hatte die IHK zu Kiel den langjährigen ARD-Korrespondenten Peter Staisch und SAT.1-Chefredakteur Jörg Howe zum Streitgespräch geladen.

Darf man um der Quote willen etwa den verzweifelten O-Ton des Handyanrufs einer Geisel aus der Erfurter Schule veröffentlichen? Vor dieser Frage stand Herlyn kurz vor der Veranstaltung selbst. Da aber die dpa einer Vielzahl von Medienunternehmen gehöre, sei auch der Konkurrenzdruck weitaus geringer und damit die Unabhängigkeit von Wirtschaftsinteressen größer als etwa beim Privat-Fernsehen. Die Unterschiede in der Berichterstattung könne man am Abend in den Nachrichtensendungen und Specials exemplarisch verfolgen, meint Peter Staisch. Doch Jörg Howe widerspricht: “Öffentlich-rechtliche Programme haben sich längst den privaten angenähert. Auch der ARD-Brennpunkt wird wahrscheinlich einen blutrünstigen Titel wie ‘Blutbad in Erfurt’ haben.”

Zudem werde man bei den Privaten wie in ARD und ZDF dieselben Bilder sehen, denn die würden von externen Teams gedreht, die ihre Beiträge an viele Sender gleichzeitig verkaufen. “Die Kollegen beliefern die Tagesschau genauso wie das Boulevardmagazin Blitz.” Peter Staisch sieht dennoch Unterschiede im Umgang mit solchem Material und beklagt die “Boulevardisierung und Ver-Bild-Zeitung” der Branche, an der Howe “als einer ihrer Erfinder” an vorderster Front beteiligt sei. Dass “der Kampf um die Frischware Nachricht gelegentlich ein Geschäft zwischen Krokodil und Krokodil” sei, räumt Howe ein, aber schließlich bediene man lediglich einen Nachfragemarkt: “Die Leute wollen sowas sehen und auch in solchen Formaten. So ist eben der Mensch, dass er lieber Katastrophen sieht als Erbauungsfernsehen. Wir sind ein Wirtschaftsunternehmen und haben keinen Erziehungsauftrag.”

Peter Staisch sieht dagegen in dem “Spagat zwischen Ware und Wahrheit” die Nachricht nicht als bloße Ware. Journalisten hätten auch einen Verfassungsauftrag der Meinungsbildung und seien der Wahrheit verpflichtet. Zwar müssten alle auf die Quote schielen, die öffentlich-rechtlichen Sender genauso wie die privaten, aber “in 24 Stunden Rund-um-die-Uhr-Fernsehen gibt es genügend Nischen, auch schwierige Themen niveauvoll anzupacken, selbst bei den Privaten – es muss ja nicht zur Primetime sein”. (jm)

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