„Tot in Lübeck“
Charlotte „Lotti“ Marsau dokumentiert den Brandanschlag in der Lübecker Hafenstraße und seine Folgen
Zehn Migranten wurden 1996 bei dem Brandanschlag auf das Flüchtlingsheim in der Lübecker Hafenstraße ermordet. Die Prozesse sind verhandelt, die Brandstifter wurden nie ermittelt, die Ruine wurde abgerissen. Der Dokumentarfilmerin Charlotte Marsau lässt das Thema in ihrem Film „Tot in Lübeck“ dennoch keine Ruhe.
Mit der Kamera fängt Marsau den Nebel ein, der sich von Bord des gemieteten Schiffes „Norden“ aus nicht nur über Lübecks Hafenlandschaften breitet, sondern auch symbolisch über den Brandanschlag in der Hafenstraße. Hin und her ging es vor Gericht. Die drei Grevesmühlener Neonazis, deren Auto nahe der Tatzeit an einer Lübecker Tankstelle gesichtet und bei denen Brandspuren festgestellt worden waren, durften es nicht gewesen sein, ein Racheakt aus dem Haus sollte die Lunte gelegt haben, weil dies besser ins Bild vom ganz und gar nicht rechtsradikalen neuen Deutschland gepasst hätte. Monatelang war der libanesische Hausbewohner Safwan Eid der Hauptverdächtige in einem Prozess, der Justiz- und neblig verschleiernde Skandalgeschichte geschrieben hat.
Lotti Marsau geht es dabei vor allem auch um die „Lichtblicke“ im Dunkel der Verschleierungen: Menschen, die sich für Flüchtlinge einsetzen, vom Lübecker Ex-Bürgermeister Michael Bouteiller bis zu Wolfgang Clausen, dem Vertreter der Nebenklage gegen Safwan Eid. „Ich mache einen künstlerischen Dokumentarfilm, ein Zeitdokument, das man sich auch in 60 Jahren noch ansehen kann“, sagt Marsau, die auf 16 Millimeter-Film in strengem Schwarzweiß dreht.
Während die „Norden“ am ehemaligen Standort des Brandanschlags für die letzten Szenen vorbeizieht, hat Marsau Interviews mit den Betroffenen, Lübecker Bürgern und mit Menschen aus dem Lübecker Flüchtlingsforum wie auch Bilder aus der Brandruine, die sie 1997 kurz vor dem Abriss schoss, längst im Kasten. Solange arbeitet sie schon an dem Film. In den 60er Jahren ging sie in Mölln zur Schule, 1992 Schauplatz eines der ersten fremdenfeindlichen Brandanschläge gegen Flüchtlingsunterkünfte. Aber in Mölln war auch Till Eulenspiegel zu Hause und Marsau fragte sich: „Wo ist der heute?“ Gefunden hat sie ihn in der „Lübecker Moritat“ des Kabarettisten Dietrich Kittner, für den feststeht: Das Grevesmühlener Nazi-Trio ist’s gewesen. Ein roter Faden, der Marsaus Film kommentierend durchzieht.
Kittner ist für Marsau auch eine „Kontrollinstanz“, damit „die Trave, die Ostsee und Störtebeker nicht zu sehr ins Romantische abgleiten“. Das heißt nicht, dass sie Kittners Sicht unbedingt teilt: „Ich ergreife nicht Partei. Ich will niemanden denunzieren.“
Einen künstlerischen Film, aber ebenso einen moralisch engagierten will Charlotte Marsau machen. Der Film bleibe nicht „in der Betroffenheit stecken. Er ruft auf zum selbst Handeln, sich Einsetzen.“ (jm – nach einem Artikel in den „Lübecker Nachrichten“)