Fernsehen zum Anfassen

Kieler Kabelpilotprojekt: Mit „Lokal TV“ und „region24.tv – r24“ wird Fernsehen „ganz nah“ – allerdings mit unterschiedlichen Konzepten.

Aufbruchstimmung ist in der Kieler Markthalle handgreiflich zu spüren. Kurz nach der Wende bauten der Kieler Medienunternehmer Detlev Freiherr von der Goltz und der langjährige NDR-Mitarbeiter Bernd Michels das NDR-Studio Rostock mit auf, jetzt hat sich das bewährte TV-Profi-Team erneut zusammengetan, um beim Kieler Kabelpilotprojekt Pionierarbeit zu leisten. Noch kurz vor dem Start am 4.2. herrschte Kabelsalat im gläsernen Studio von „Lokal TV“. Unter Hochdruck wurden Strippen gezogen, um am Starttag, 19 Uhr live aus der Markthalle erstmals zu senden. „Wir üben für die kommende Medienkonvergenz, wenn TV und Internet zusammenwachsen“, sagt von der Goltz zur langfristigen Zielsetzung. Neben der Medienfirma 24sieben Produktionen ist er einer der beiden Lizenznehmer des Kabelpilotprojekts.

„Ein Pilotprojekt, aber keine Versuchsküche“, ergänzt Bernd Michels, „Lokal TV“-Chefredakteur. Trotz Offenheit für neue Formate werde „Lokal TV“ „zunächst auf Fernsehgewohnheiten Rücksicht nehmen und mit klassischen Magazinformaten (zum Beispiel Talks und Vor-Ort-Berichten aus der Region) um Akzeptanz beim Zuschauer werben“. An den will man mit dem gläsernen Studio „ganz nah ran“. Fernsehen zum Anfassen, denn „Lokalfernsehen ermöglicht eine viel engere Bindung ans Publikum“. Den Weg zu neuen Formaten, den Schritt ins Internet werde man später gehen, „wir entwickeln das Produkt on the Job“, so von der Goltz.

Von der Goltz und sein Team können sich dem voll widmen, denn die Infrastruktur, „ausgesprochene Broadcast-Technik mit einem Investitionsvolumen von 1,5 Millionen Euro“, hat von der Goltz seit langem an der Hand. Ebenso TV-Sachverstand. Die Moderatorin Franziska Thormählen moderierte auf Mallorca einen deutschen Sender und Kollegin Michaela Kühnast hat Erfahrungen bei Radio NORA.

r24 geht vom Netz auf den TV-Schirm

Mit einem ganz anderen Konzept ging „r24“ am 4.2. um 18.30 Uhr erstmals auf Sendung. Im Studio in Kiel-Wellsee, vollgestopft mit modernster digitaler AV-Elektronik, bastelt man vor allem an der Komponente „Mediendienste“. Unter www.region24.tv ist „r24“ von Anfang an auch im Netz präsent, mit denselben Inhalten wie auf dem TV-Schirm. Mit dieser Kombination will 24sieben-Geschäftsführer Wolfgang Flieger einen „Marktplatz für mittelständische Unternehmen aus der KERN-Region etablieren“. „Nützliche Information“ und Werbung, die Haupteinnahmequelle des Lokal-Senders, gehen Hand in Hand, „aber jenseits von platter Produkt-Verkaufe“. Mit den Kieler Firmen Otto Stöben und Max Bahr wurden bereits solche neuen Info-Formate entwickelt, für die „die lokale Tageszeitung Pate steht“.

Neben diesen zu „Business-Portalen“ gebündelten Inhalten wird eine Redaktion unter der Leitung des RTL-erfahrenen Journalisten Ralf Bartels über „Events in Kiel und Umgebung“ berichten. Auch hier stehen der „Tipp-Charakter“ und „nützlicher Service“ im Vordergrund. „Die Kunst wird sein, das zu Kosten zu produzieren, die in den mittelständischen Rahmen passen“, weiß Flieger. Preisgünstige DigitalVideo-Produktionstechnik und das im Hörfunk schon erprobte „Selbstfahrerstudio“ – die Moderatorin Carolin Knöfel wird den Sendebetrieb vom Laptop aus steuern – sollen dies ermöglichen.

Bleibt die Frage, ob hier unter dem Dach einer gemeinsamen Lizenz Konkurrenten gegeneinander antreten. „Wir sind durchaus Wettbewerber“, meint von der Goltz. Welches Format attraktiver für die Zuschauer und damit für Werbekunden sei, werde sich zeigen. Denn: „Konkurrenz belebt das Geschäft.“

Neue Chancen im Lokalen

„Neue Chancen, neue Risiken“ sieht Gernot Schumann, Direktor der Landesmedienanstalt ULR, in der Digitalisierung des Rundfunks. „Das muss man ausprobieren“, sagt er zum Kieler Kabelpilotprojekt. „Regionale Publizistik“ ist für die ULR seit jeher ein Inhalt, den sie stärken will. Mit 24sieben Produktionen sowie von der Goltz hat man zwei Anbieter im Boot, die genau das bieten: Lokales TV nebst Mediendiensten über Fernseher, aber auch Internet.

Vor dem Start des Kabelpilotprojekts mussten Hürden überwunden werden. Das Landesrundfunkgesetz (LRG) erlaubte der ULR bislang nur die Förderung landesweiter Angebote. Erst in der Novellierung des LRG vom Oktober 1999 findet sich eine „Experimentierklausel“, nach der „die Durchführung zeitlich befristeter und regional begrenzter Pilotprojekte sowie Betriebsversuche mit neuen Techniken, Programmen und Mediendiensten zulässig sind“. Das Kabelpilotprojekt ist einer dieser „Betriebsversuche“. Besonders daran und attraktiv für private Programmanbieter, die auf den möglichen Gewinn schauen müssen, ist der Einschluss der „Mediendienste“, sprich von Angeboten, die vom LRG als „nicht meinungsbildend“ eingestuft werden und daher nicht den strengen Werberichtlinien unterliegen. Gemeint sind Informationssendungen über Produkte und Dienstleistungen und angekoppelte Internet-Dienste.

Seit Anfang der 90er Jahre hat die ULR, wissend um „das Janusköpfige des Rundfunks zwischen Kultur und Wirtschaft“ (Schumann), die terrestrischen Frequenzen an private Anbieter mit der Auflage vergeben auch regionale Programminhalte zu senden. Für Sender wie RTL und Sat.1 war das häufig eine bittere Pille, die sie schlucken mussten. Nunmehr aber treten zwei Unternehmen an um Lokales pur zu bieten, auch weil Medienforscher wissen, dass Medienunternehmen heute vor allem im Regionalen noch Zugewinne erwirtschaften können.

Alle Bewerber an einem Tisch?

Im August 2001 hat der ULR-Medienrat den Bewerbern „region24.tv“ sowie „Lokal TV“ den Zuschlag für das Kabelpilotprojekt gegeben. Vorangegangen waren längliche Bemühungen der ULR, alle Bewerber an einen gemeinsamen Tisch zu bringen, um „unterschiedliche Qualitäten der Anbieter zu vereinen und ein möglichst großes Kapital an die Startlinie zu bringen“. Unter den Bewerbern war auch eine Kollaboration der Hamburger Distefora AG mit ihrer Tochter Bluetrix und des Evangelischen Presseverbandes Nord, die ihr Angebot aber im Verlauf der Verhandlungen zurückzog.

Der ULR ist vor allem „an der publizistischen Komponente“ des neuen Senders gelegen. Zwar könne man nicht erwarten, sagt Schumann, dass „das N3-Regionalprogramm hier heruntergebrochen auf das lokale Kabel erscheint“, aber das auf drei Jahre Laufzeit konzipierte Pilotprojekt sei „ein Versuch mit bescheidenen Mitteln größere Erfolge zu erzielen und das ist schon sehr ehrgeizig.“ Die Lizenz sei „eine Art Versuchsanordnung, die eventuell in ihren Randbedingungen angepasst werden muss, wir wollen beide lernen, die ULR ebenso wie die Anbieter“.

„Wir wollen das als Versuchspartner konstruktiv begleiten“, sieht Schumann zuversichtlich, aber auch kritisch in die Zukunft des Kabelpilotprojekts. Halbjährlich müssen die Anbieter Berichte abliefern, um den Fortgang des Projekts evaluierbar zu machen. Schumann sieht in dem Projekt auch „ein Üben für das digitale Rundfunkzeitalter“, das auf die für September geplante Einführung des digitalen terrestrischen Fernsehens (DVB-T) (wir berichteten) befruchtend wirken könnte. „Jenseits von Luftschlössern“ werde das „kleine Projekt“ zwar nicht „den Weg ins medienwirtschaftliche Paradies“ weisen, aber „den ein oder anderen neuen Arbeitsplatz schaffen“. (jm)

r24 und Lokal TV sind täglich 18.30-19.30 Uhr (Wiederholung am nächsten Tag 10-11 Uhr) auf dem Kieler Kabelkanal 5 (EuroNews) zu empfangen.

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