Video-Filmfest der LAG Jugend und Film SH (30.11.-2.12.2001)
Samstagabend in Flensburg: Ein Multiplexkino voller junger Menschen, die fröhlich durcheinander plappern. Strohhalmschlürfende, popcornknisternde Spannung liegt in der Luft. Denn dort auf der Leinwand, wo sonst Bruce Willis, Julia Roberts und andere Hollywoodgrößen Liebe, Schicksal und Pyrotechnik bemühen, werden gleich Bilder flimmern, an denen das Publikum nicht ganz unschuldig ist. Es ist Video-Filmfest, und die Landesarbeitsgemeinschaft Jugend und Film Schleswig-Holstein hat eingeladen.
Seit mehr als einem Vierteljahrhundert hilft die LAG Jugend und Film dabei, die Wunderwelt der bewegten Bilder für den Nachwuchs zu erschließen. Sie gibt Starthilfen für junge und jüngste Talente und fördert Medienkompetenz in Gemeinschaft; für Leute bis 27 und für Multiplikatoren.
Im Herbst trifft sich die Filmjugend des Landes zur gegenseitigen Werkschau auf dem Jugendhof Scheersberg. Unterm windumtosten Bismarck-Turm gilt das Prinzip der offenen Leinwand: Wer den Weg ins tiefste Angeln nicht scheut (und auch findet), darf zeigen, was die Bildköpfe hergeben. Für manche die erste Chance auf ein unvoreingenommenes Publikum, fern von Klassengaudi und Elternstolz.
Hier wird gefragt und nachgehakt, mal kompetent mal neugierig. Es wird geredet, gelobt und auch gegähnt. So einiges hätte nach Ansicht der Vorjury gerne in der Versenkung des elterlichen Videoregals verbleiben dürfen, doch das junge Fachpublikum ist allem aufgeschlossen. Auch die x-te schlampig zusammengeschusterte Horrorfilm-Parodie findet Gnade und wird konstruktiv und kritisch beäugt. Der Trend ist deutlich: Selbermachen, was aus Kino und TV vertraut ist. Wenig Selbstreflektiertes ist zu sehen, und praktisch gar nichts Dokumentarisches. Gemeinschaft, Spaß und Effekte stehen im Vordergrund. Die Welle der Skater-Filme scheint vorüber, die Harry-Potter-Imitate halten sich noch in Grenzen.
Doch wo viel Spreu ist, ist auch der Weizen nicht fern. Und so sind es am Ende sieben von über vierzig Einreichungen, erwählt von Publikum und Vorjury, die sich der Endausscheidung im Flensburger Kinopolis-Kino zu stellen haben. Nicht nur Ruhm und Kinoambiente locken, auch die Siegerprämien von 250 bis 750 Euro sind nicht von Pappe.
“Engel” (Sara Roloff): ein melancholisches Rührstück um die zarte Flaschenpostliebe zweier Außenseiter, das lustvoll und stilsicher die Grenze zum Kitsch überschreitet. “Neulich auf dem Dachboden” ist ein kurzer Sketch, der seine geschickt aufgebaute Spannung genüsslich in einer absurden Pointe verpuffen lässt. “Hintendrauf” (Sebastian Timmer, Knut Friedrichs) gehört ebenfalls in die Reihe “gespielter Witz”, der eine Loriot-Vorlage als bizarre Strip-Poker-Runde neu interpretiert.
In “Happy Birthday” (Annika Braatz, Niklas Klatt, Rasmus Greiner) eskaliert ein überzeugend geschildertes Wochenend-Besäufnis durch das Geschenk einer Pistole, die echter ist als sie aussieht.
Auch in “Das Werk” (Toke Hebbeln) knallt ein finaler Schuss durch die Kulisse der Itzehoer Zementwerk-Ruinen und beendet ein düsteres Endzeitszenario, das einen Verhaltensforscher zum Opfer seiner Wissenschaft werden lässt. Kaum besser ergeht es dem jungen Mann in “Mustermanns Nebel” (Ali Güneli, Sönke Kniphals) In kurzer Zeit verliert er seine bürgerliche Existenz, verfolgt von dreisten Trickräubern und Sonderlingen auf Kinder-Fahrrädern.
In “Mut zur Angst” (Nicolas Chibac) schließlich versucht eine Frau im nächtlichen Schwimmbecken das Trauma eines Hai-Angriffes zu bewältigen und kämpft mit den Ausgeburten ihrer Angst. In albtraumhaftes Licht getaucht gelingt eine überzeugende Mischung aus Psycho-Drama und Horror-Thriller. Inhaltlich glaubhaft, gekonnt ins Bild gesetzt und richtig, richtig gruselig (nicht nur für Nichtschwimmer).
Dieses Werk war es dann auch, dem die dreiköfpige Jury, bestehend aus Petra Holdt (Offener Kanal Flensburg), Hauke Lange-Fuchs (Nordische Filmtage Lübeck) und Thomas Frahm (Kulturbüro Flensburg) einstimmig den ersten Preis verlieh. “Neulich auf dem Dachboden” wurde zweiter Sieger. “Das Werk” und “Happy Birthday” teilten sich den dritten Platz. Die Siegerprämien sind Förderpreise, die in neue Projekte investiert werden müssen, und auf die Ergebnisse dieser Anschubfinanzierung darf man schon jetzt gespannt sein. Doch bis dahin dürfen ersteinmal Bruce Willis und Julia Roberts wieder zurück auf die Leinwand. (Lorenz Müller)